„Unternehmen in Verantwortung“
Erstmalige Verleihung des IHK-Preises Ostthüringen
Gera, 12. September 2024
Mit der Verleihung des Preises „Unternehmen in Verantwortung“ feiert die IHK Ostthüringen heute eine Premiere. Ich freue mich, an diesem Nachmittag ein Teil der Premierenfeier sein zu dürfen und bin gespannt, von Unternehmen aus der Region zu erfahren, die gesellschaftliche Verantwortung im Sinne eines sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Wirtschaftens leben.
Unternehmerischer Einsatz für das Gemeinwohl sowie den Schutz von Klima und Umwelt verdient Aufmerksamkeit und Anerkennung. Das ist eine wesentliche Botschaft, die mit dem IHK-Preis verbunden ist. Ich verstehe diesen Preis aber nicht allein als Auszeichnung für besonders engagierte Betriebe, sondern darüber hinaus auch als Erinnerung und Mahnung an alle Unternehmerinnen und Unternehmer in der Region: Verantwortliches Handeln ist nicht etwa nur ein „nice to have“ für einen Betrieb oder ein Almosen, das ein Unternehmen für die Gesellschaft aufbringt, wenn die Bilanz es erlaubt. Nein, Unternehmensverantwortung sollte in der sozialen Marktwirtschaft integraler Bestandteil jedes Geschäftsmodells sein.
Die soziale Marktwirtschaft, die das Prinzip der Freiheit des Marktes und des Wettbewerbs mit dem des sozialen Ausgleichs verbindet, hat sich seit 1948 in der westdeutschen Staatspraxis aus guten Gründen etabliert und bewährt. Sie hat sich darüber hinaus im Systemwettbewerb mit der sozialistischen Planwirtschaft als das überlegene Wirtschaftsmodell erwiesen.
Aber es gilt, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und die soziale Marktwirtschaft zusammen zu denken. Sie sind voneinander zu unterscheiden, aber nicht zu trennen. Beide, die Demokratie und die soziale Marktwirtschaft, sind Ausdruck des Strebens nach Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand. Beide sind sie, wie es mein Vorgänger im Amt des Bundespräsidenten, Johannes Rau, einmal pointiert formulierte „eine gesellschaftliche Friedensstrategie“.
Die soziale Marktwirtschaft als Friedensstrategie? Mir ist bewusst, dass diese These bisweilen auf Widerspruch stößt. Manche setzen unsere Wirtschaftsordnung gern mit schrankenlosem Kapitalismus und sozialer Kälte gleich. Immer wieder wird in Frage gestellt, inwieweit die Marktwirtschaft unter den Bedingungen der Globalisierung überhaupt noch Raum für Soziales lässt. Führt der gnadenlose Wettbewerb auf dem freien Markt nicht zwangsläufig zu Einsparungen, die auf dem Rücken von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausgetragen werden? Taugen die Werte des ehrbaren Kaufmanns wie Anstand, Ehrlichkeit, Weitblick, Entschlossenheit, Fleiß und Gerechtigkeit noch als ethische Standards für das Wirtschaften in der heutigen Zeit?
Die heutigen Preisträger zeigen, dass erfolgreiches Wirtschaften und sozialer Einsatz durchaus zusammen gehen können. Dass aber solch kritische Fragen besonders in Ostdeutschland aufgeworfen werden, ist für mich angesichts des tiefgreifenden Strukturwandels, den die Menschen hier nach der Friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung erlebt haben, verständlich. Die Hälfte der Arbeitsplätze im ostdeutschen Verarbeitenden Gewerbe ging verloren. Der Hauptgrund dafür war ihre mangelnde Wettbewerbsfähigkeit in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung. Diese Zeit und die damals gemachten Erfahrungen haben viele Menschen hierzulande tief geprägt. Viele Geschichten von Betrieben, die damals scheinbar über Nacht verschwanden und von den Schicksalen der dahinterstehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden noch nicht erzählt oder vielleicht nur unzureichend gehört. Ich wünsche mir, dass dies geschieht. Eine ehrliche Aufarbeitung jener Jahre sollte aber die vielen Erfolgsgeschichten, die es auch hier in Thüringen gab, nicht vergessen.
Und was ich mir nicht wünsche, ist ein Vergessen oder Verharmlosen der Freiheitsbeschränkungen und systembedingten Ineffizienzen in der DDR. Wir sollten vor allem hellwach sein gegenüber den Gefahren für die Demokratie von heute, egal ob sie von politisch ganz links oder ganz rechts drohen. Alles in allem können wir aber nach meinem Dafürhalten auf eine positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung in den ostdeutschen Bundesländern zurückblicken. Ich nenne nur eine volkswirtschaftliche Kenngröße, die diesen Erfolg illustriert: Lag das Bruttoinlandsprodukt in Thüringen 1991 bei 17 Milliarden Euro, so war es 2023 mit knapp 76 Milliarden Euro etwa viereinhalb Mal so hoch. Sie, meine Damen und Herren, haben dazu als Selbständige und Unternehmer mit Ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hier vor Ort in Ostthüringen aktiv beigetragen. Sie können stolz darauf sein. Und ich bin zuversichtlich, dass Deutschland auch die kommenden politischen und ökonomischen Herausforderungen meistern wird.
Der im Zuge der deutschen Einheit vollzogene wirtschaftliche Systemwechsel ist insgesamt gelungen. Hier in Thüringen haben dazu einige große Konzerne (wie die TEAG Thüringer Energie AG, die Carl Zeiss Meditec AG oder JENOPTIK) beigetragen. Es sind aber vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, die die wirtschaftliche Landkarte Thüringens prägen. 88,7 Prozent der Thüringer Unternehmen haben weniger als zehn Mitarbeiter. Da ist ganz sicher kein Raum für eine „Corporate Social Responsibility“-Abteilung, wohl aber für verantwortungsbewusstes Unternehmertum. Denn auch wenige Köpfe können kluge Antworten auf die Frage finden, wie das eigene Unternehmen, sei es Autohaus, Handwerksbetrieb, Pflegedienst, Bauunternehmen, KFZ-Werkstatt oder Restaurant, sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltig wirtschaften kann. Oftmals erweisen sich gerade kleine und mittelständische Unternehmen in der Umsetzung guter Ideen erstaunlich schnell und flexibel. Veränderungen, die in großen Konzernen über Monate vorbereitet und kommuniziert werden, können hier schon in kurzer Zeit umgesetzt werden und Wirkung entfalten.
Eine Voraussetzung dafür ist nicht zuletzt die Fähigkeit, mit Veränderungen umgehen zu können und sie gestalten zu wissen. Solche Transformationskompetenz ist hier in Thüringen in großer Menge vorhanden. Sie ist ein Pfund, mit dem Sie wuchern können und sollen!
Meine Damen und Herren, unser Gesamtstaat tut gut daran, mehr zu investieren. Die öffentliche Infrastruktur ist in Deutschland offenkundig vernachlässigt worden. – Der gestrige Einsturz der Carolabrücke in Dresden ist dafür fast symbolhaft. – Die öffentliche Infrastruktur in Deutschland verlangt nach massiven Investitionen in Instandhaltung und Modernisierung. Dazu gehört der beschleunigte Ausbau des Breitbandnetzes, um auch den ländlichen Räumen die Wachstumschancen der Digitalisierung voll zu erschließen. Und nicht zuletzt braucht es in Deutschland in dieser neuen „Zeitenwende“ auch mehr politische Aufmerksamkeit und Investitionen in der Bildungspolitik, die bekanntlich in der Hauptzuständigkeit der Bundesländer liegt.
Im „IMD World Competitiveness Ranking“, einer Rangliste der Standort-Wettbewerbsfähigkeit, landete Deutschland in diesem Jahr auf Platz 24 von 67 und damit (nur) im oberen Mittelfeld. Vor zehn Jahren noch nahm Deutschland im gleichen Ranking den sechsten Platz ein. Unser Land punktet weiterhin mit verlässlicher Rechtsstaatlichkeit und – bislang – mit politischer Stabilität, doch der Rückstand bei der Digitalisierung, die alternde Infrastruktur, zu viel Bürokratie und hohe Produktionskosten belasten die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes spürbar. Die Politik muss jetzt die Kraft zur Prioritätensetzung finden. Es geht um unsere Zukunftssicherung. Und das muss auch für die Staatsausgaben heißen: Priorität für Investitionen statt für Sozialkonsum. – Mit Blick auf den Stand der aktuellen Debatte zum Bundeshaushalt 2025 im Deutschen Bundestag scheint mir, dass diese notwendige Prioritätenänderung noch nicht ausreichend Fuß gefasst hat.
Staat und Wirtschaft in Deutschland stehen beide vor großen Herausforderungen. Zu einer der drängendsten Aufgaben für beide gehört ganz sicher, dem immer spürbarer werdenden Fachkräftemangel zu begegnen. Prognosen zufolge werden allein in Thüringen bis zum Jahr 2035 rund 250.000 Fachkräfte fehlen. Ohne Zuwanderung aus dem Ausland wird dieser massive Arbeitskräfteengpass nicht beseitigt werden können. Eine kluge Einwanderungspolitik ist gefragt, die zwischen regulärer Einwanderung und Asylmigration unterscheidet. Daneben braucht es auf Seiten der Unternehmen auch gute Ideen, um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden und zu binden. Und hier haben die Betriebe und Unternehmen bessere Chancen, in denen der Geist sozialer Verantwortung und Nachhaltigkeit sichtlich gelebt wird und in denen die Einhaltung von Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards Selbstverständlichkeit ist.
Ludwig Erhard, der erste Bundeswirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler, warnte einst: „Wenn […] eine Wirtschaftsordnung […] nicht mehr um das Ganze weiß, wenn sie das Gefühl der Verantwortung verkümmern lässt und nichts mehr von Nächstenliebe atmet, kann und darf sie nicht auf Resonanz und Anerkennung hoffen.“
Ich freue mich sehr über die Initiative der Stifter des IHK-Preises „Unternehmen in Verantwortung“, der TAG Wohnen & Service GmbH, der Stadtwerke Energie Jena-Pößneck GmbH und der Volksbank eG Gera-Jena-Rudolstadt. Und ich gratuliere den Preisträgern. Sie alle tragen aktiv zu Stabilität und Zukunftssicherung in der Region bei. Sie beweisen vor Ort Verantwortung für das Ganze. Dafür gebührt Ihnen Dank und Anerkennung. Bleiben Sie auf Kurs!