Grußwort

Fest- und Gedenkakt in der Münchner Hauptsynagoge Ohel Jakob
München, 9. November 2023



Als ich zur Einweihung dieser wunderbaren Synagoge am 9. November 2006 sprach, äußerte ich am Schluss meines Grußwortes einen Wunsch: „Den nämlich, dass diese Synagoge bald ganz selbstverständlich zu München gehört […].“
Heute, 17 Jahre später, glaube ich sagen zu dürfen: Dieser Wunsch hat sich erfüllt. Aus dem Herzen Münchens ist das Jüdische Zentrum nicht mehr wegzudenken. Mit Kultur- und Gemeindehaus, Grundschule und Gymnasium, Kindergarten, Jugendzentrum, Restaurant, dem Jüdischen Museum, vor allem aber dieser Synagoge ist weit mehr als eine die Altstadt städtebaulich prägende Architektur gewachsen. Auch jede Menge religiöses, kulturelles und intellektuelles Leben haben mit der jüdischen Gemeinde am Sankt-Jakobs-Platz einen festen Ort, eine Heimat gefunden. Jüdisches Leben ist in die Mitte der Stadt zurückgekehrt. Ein Segen für Ihre Gemeinde, liebe Frau Dr. Knobloch, ein Segen für München, ein Segen für unser Land!
„Suchet der Stadt Bestes“ (Jer 29,7), übersetzte Martin Luther ein Wort des Propheten Jeremia. Von „Schalom“ spricht der hebräische Text. Und hier, meine Damen und Herren, an diesem Ort in Münchens Altstadt ist sichtbar, greifbar, erlebbar, wie eine Gemeinde zum Besten, nämlich zu Schalom, zu Frieden und Wohlergehen Ihrer Stadt beitragen kann.
Vor etwa einem Monat, wenige Tage nach dem Hamas-Terror vom 7. Oktober, füllten mehr als 2.000 Menschen den Sankt-Jakobs-Platz. Repräsentanten der jüdischen Gemeinde, aus Politik und Kirchen suchten nach Worten, um ihrer Trauer und ihrem Schmerz Ausdruck zu geben. Vereint waren die Menschen an jenem Abend im Gedenken an die Opfer des Terrors und ihre Familien und in ihrer Sehnsucht nach Frieden, nach Schalom für Israel. Mit Kerzen und den Lichtern ihrer Handys sandten die Münchnerinnen und Münchner ein Signal der Solidarität in die Dunkelheit der Welt, als am Schluss die israelische Hymne erklang, die eben auch der Synagogenchor so ergreifend vortrug. Ihr Titel: haTikwa – „die Hoffnung“.
Für mich, meine Damen und Herren, ist dies in Münchens Mitte ein guter Ort, um Hoffnung zu bezeugen. – Viel Hoffnung und Zuversicht brachten all jene mit, die vor 20 Jahren den Grundstein für diese Synagoge legten und die ihren Bau tatkräftig unterstützt haben. Mit Kirchen, Vereinen, Gewerkschaften und Unternehmen und vielen Münchner Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam hat die jüdische Gemeinde hier etwas Großes geschaffen. – Liebe Frau Dr. Knobloch, gestatten Sie mir, dass ich Sie an dieser Stelle besonders hervorhebe. Denn ohne Ihr klares Bekenntnis zu Ihrer bayerischen Heimat, ohne Ihren unermüdlichen Einsatz für die Belange von Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland, und ohne Ihre Kraft, Ihre Beharrlichkeit und Ihr Durchhaltevermögen wären wir heute nicht hier, hätten wir nicht diesen Hoffnungsort. Danke, liebe Charlotte Knobloch!
Die Ohel-Jakob-Synagoge gehört heute ganz selbstverständlich zu München. Doch Friede, Schalom, ist nie Selbstverständlichkeit. Das erfahren wir täglich aufs Neue in den Nachrichten aus vielen Teilen der Welt. Das zeigen aber leider auch die in den letzten Wochen vielerorts bei uns im Land, auch hier in München, zu beklagenden antisemitischen Haltungen und Straftaten. Und wie kaum ein anderes Datum deutscher Geschichte erinnert uns der 9. November an die Abgründe, die drohen, wo sich Hass und Hetze Bahn brechen.
Es geschah vor 85 Jahren in den Zentren deutscher Städte, dass Jüdinnen und Juden verhöhnt, gedemütigt, totgeschlagen, ihre Gotteshäuser geschändet, geplündert und in Brand gesteckt wurden. Die Opfer dieses Terrors hatten Name und Adresse. Die gewissenlos handelnden Täter ebenso. Und alle, das ist das Unbegreifliche, teilten sie doch zuvor Straßen und Plätze ihrer Stadt miteinander. Was sich damals ereignete, war weder der Anfang und schon gar nicht das Ende des Judenhasses in unserem Land. Der von Georg Soanca-Pollak künstlerisch gestaltete „Gang der Erinnerung“, der diese Synagoge mit dem Gemeindezentrum nebenan verbindet, hält das Gedenken an die über 4.500 Münchner Jüdinnen und Juden wach, die während des Nationalsozialismus deportiert und ermordet wurden. Sie sind nicht vergessen, ihr Schicksal bleibt uns Mahnung und Auftrag!
„Ohel Jakob“, Zelt Jakobs, so der Name dieser Synagoge. In der Architektur dieses Bauwerks begegnen sich Fragilität und Stabilität in Gestalt des filigranen, transparenten Aufbaus einerseits und des massiven Sockels andererseits. Theologisch mag man darin Anspielungen auf Gefährdung und Bewahrung des durch die Zeit wandernden Volkes Israel erkennen. Auch heute erleben Menschen jüdischen Glaubens beides: Gefährdung und Bewahrung. Und wenn wir uns an diesem Abend mit Schrecken an die Reichspogromnacht erinnern und mit großer Sorge auf den gegenwärtigen Antisemitismus in unserem Land und in der Welt schauen, so bleiben doch Hoffnung und Zuversicht. Jüdisches Leben hat seinen Ort in der Mitte der Stadt. Dafür steht dieses Haus und dafür stehen wir alle, die wir heute Abend zusammenkommen!
Der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und den Menschen in dieser Stadt gratuliere ich zum 20. Jahrestag der Grundsteinlegung ihrer Synagoge. Und ich wünsche Ihnen nur das „Beste“ – und das heißt: Schalom!