Freiheit und Verantwortung müssen wieder zueinander finden
Rede anlässlich der Verleihung des Adam-Smith-Preises durch das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft
Berlin, 17. Oktober 2014
Adam Smith hat uns Menschen richtigerweise als tauschende Wesen beschrieben, und vielleicht fühlt es sich deshalb ein wenig seltsam an, Ihre freundlichen Worte anzunehmen, lieber Herr Eichel, lieber Herr Fücks, ohne mich bei Ihnen revanchieren zu dürfen. Stattdessen übe ich mich in der Tugend der Dankbarkeit und sage einfach Danke – Ihnen beiden für Ihre Laudationes, und dem Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft für diesen Preis.
Ich freue mich, heute bei Ihnen zu sein; und ich freue mich über den Adam-Smith-Preis. Nun schmeichelt es einem Jeden, einen Preis zu bekommen, und vielleicht schmeichelt es mir als Ökonomen ganz besonders, mit einer Auszeichnung geehrt zu werden, die den Namen des Urvaters der Ökonomie trägt. Aber meine Freude über diesen Preis hat nur begrenzt mit meiner persönlichen Eitelkeit zu tun. Ich freue mich über den Adam-Smith-Preis ganz besonders deshalb, weil er eine Idee würdigt, die, wie ich glaube, die Antwort auf einige der wichtigsten Fragen unserer Zeit geben kann. Die Idee ist das Prinzip der Kostenwahrheit: dass sich also die tatsächlichen, also auch sozialen und ökologischen Kosten der Produktion und des Konsums von Gütern in deren Preisen widerspiegeln. Und vier der großen Fragen, bei deren Beantwortung uns dieses Prinzip helfen kann, lauten: 1. Welches Wachstum wollen wir? (übrigens die wohl schönste Alliteration der Wirtschaftsgeschichte), 2. Wie lassen sich die soziale und die ökologische Frage zusammen lösen? 3. Was tun gegen den Klimawandel? Und 4. Wohin, Europa?
Ich möchte – in der notwendigen Kürze – gerne auf diese vier Fragen eingehen.
- Welches Wachstum wollen wir?
Als Ralf Dahrendorf vom Pumpkapitalismus sprach, kritisierte er die wachsende Neigung von Wirtschaft und Gesellschaft, ich zitiere, zum „fröhlichen Schuldenmachen“. Dabei darf man sein Bild getrost noch weitreichender als nur wirtschafts- und finanzpolitisch interpretieren. Unser derzeitiges Wirtschaftsmodell greift allerorten in fremde Taschen, um seine aktuellen Bedürfnisse zu stillen: die sozialen Kosten unseres Wachstums externalisieren wir allzu oft auch in andere Regionen, nicht zuletzt nach Afrika; und die ökologischen und finanziellen Kosten des Wachstums übertragen wir auf die kommenden Generationen – ach, was heißt hier „kommende“ Generationen: die jetzt schon geborenen Kinder werden bis zum Ende dieses Jahrhunderts leben und die Zeche für unseren Pumpkapitalismus zahlen müssen. Das Wahlplakat der GRÜNEN von 1983 könnte heute auch heißen: „Wir haben das Wachstum von unseren Kindern nur geborgt“. Also: Finger weg vom Geldbeutel und CO2-Budget unserer Enkelkinder!
Darüber nachzudenken, was die Dinge wirklich kosten, hilft uns vielleicht auch, ein altes Prinzip wiederzuentdecken, das Linke, Konservative und Liberale gleichermaßen für sich reklamieren dürften: das Prinzip der Verantwortung. Wir müssen Verantwortung übernehmen für unseren heutigen Konsum und die wahren Kosten, die er verursacht. Verantwortung und Freiheit, das sind die beiden alten europäischen Schwestern, die wieder zueinander finden müssen. Und gerade Adam Smith kann uns wichtige Hinweise geben, wie das funktioniert.
Ein politischer Wandel hin zu einem ehrlichen, verantwortlichen Wachstum, also eines, das wir uns mit den unserer Generation zur Verfügung stehenden finanziellen und natürlichen Ressourcen wirklich leisten können, ist nicht einfach. Schon längst sind unsere Demokratien, unser ganzes Gesellschaftsgefüge, abhängig von Wachstum und viel zu billigen fossilen Ressourcen. Aber genau deshalb ist es höchste Zeit, sich aus diesen Abhängigkeiten zu lösen, sich frei davon zu machen (das wäre ein ganz neuer Freiheitsbegriff, über den es sich nachzudenken lohnt). Ich bin übrigens überzeugt, dass wir durch eine ernsthafte politische Auseinandersetzung darüber, welches Wachstum wir wirklich wollen, auch zu einem neuen Verständnis von Lebensqualität kommen können.
Verstehen Sie mich nicht falsch, zum pauschalen Wachstumskritiker tauge ich nicht. Ich bin nicht gegen Wachstum. Aber wir müssen uns neu die Frage stellen: was soll da eigentlich wachsen? Nehmen Sie den Finanzsektor, der zum Motor eines gefährlichen Pseudo-Wachstums verkommen ist, mit gigantischen Mengen von Geld, die in der Welt herumvagabundieren, aber nicht der Realwirtschaft dienen, schon gar nicht den dringend benötigten Investitionen in eine grüne Infrastruktur. Klar brauchen wir Wachstum, aber wo? Und zu welchem bzw. zu wessen Zweck?
Und damit bin ich auch schon bei meiner zweiten großen Herausforderung angekommen:
- Wie lassen sich die soziale und die ökologische Frage zusammen lösen?
Wer sich einmal in Afrika umgeschaut hat, mit einer Bevölkerung von heute 1 Milliarde und bis 2050 2 Milliarden Menschen, der weiß, dass es auf globaler Ebene lächerlich ist, Wachstum an sich zu verteufeln. Natürlich werden dort noch mehr Schulen und Krankenhäuser und Straßen und Kraftwerke, Industrie- und Dienstleistungsbetriebe gebraucht, um die Menschen aus der Armut zu holen. (Übrigens haben die Industrieländer meiner Einschätzung nach noch viel zu wenig dafür getan, um arbeitsplatzschaffendem wirtschaftlichem Wachstum in Afrika die nötigen Rahmenbedingungen zu geben). Aber die Entstehung einer globalen Mittelschicht bringt den Planeten an den Rand des Kollapses, wenn er nach dem alten, unserem Wachstumsmuster verläuft. Um die wachsende Weltbevölkerung zu versorgen, werden bis 2030 30% mehr Energie, 40% mehr Wasser und 50% mehr Nahrungsmittel nötig sein. Von welcher Substanz soll sich eigentlich das Wachstum nähren, welches uns der Vision einer Welt des Wohlstands für alle näherbringt?
Die ökologisch-soziale Transformation bei uns muss also zwingend in einem globalen Zusammenhang stehen, der den Ländern des Südens Raum für deren dringend benötigtes Wachstum gibt; der sich einordnet in die große Menschheitsaufgabe, die extreme Armut endlich auszurotten. Angesichts der physischen Grenzen unseres Planeten kann dafür das Prinzip der Kostenwahrheit eine wichtige Richtschnur sein. Dadurch kann die globale Lastenverteilung vielleicht besser gesteuert werden als über manchen Entwicklungshilfe-Transfer… Kostenwahrheit darf dabei natürlich nicht heißen, dass alles teurer wird – sondern jene Dinge, die tatsächlich wachsen sollen, müssen dann im Gegenzug auch billiger werden, sonst drohen sich soziale Ungleichheiten noch zu verstärken. Deshalb sollten z.B. die Steuern auf Arbeit gleichzeitig gesenkt werden.
Ich bin froh, dass in der aktuellen Diskussion um globale Entwicklungsziele, die sogenannte Post-2015-Agenda, zwei Dinge mittlerweile nicht mehr strittig sind: erstens muss die „human development“-Agenda der alten Millennium-Entwicklungsziele zusammengeführt werden mit der ökologischen Agenda des Rio+20-Prozesses, und zweitens müssen die neuen „Sustainable Development Goals“ universelle Ziele sein, also Veränderungen im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen bewirken. Entwicklungsland, das sind wir alle. Und damit brauchen wir eine Entwicklungspolitik für den ganzen Planeten. Wir brauchen eine große Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft, und zwar überall.
Bei keinem anderen Thema ist der Zusammenhang zwischen Armut und Umweltzerstörung so offensichtlich wie bei der globalen Erwärmung, müssen doch diejenigen am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden, die am wenigsten zu seiner Verursachung beigetragen haben. Das bringt mich zu meinem dritten Punkt:
- Was tun gegen den Klimawandel?
Man muss das so deutlich sagen: Die globale Erwärmung ist das größte Marktversagen in der Geschichte der Menschheit. Weil der Ausstoß von Kohlendioxyd noch immer weitgehend gratis ist, geht die CO2-Party in absoluten Zahlen unvermindert weiter, schließlich werden die Folgekosten des Klimawandels von der Allgemeinheit übernommen. Adam Smith würde sich im Grabe umdrehen. Dabei ist die Herausforderung riesig: wenn wir eine Erwärmung um mehr als 2 Grad verhindern wollen, muss die Erdgemeinschaft spätestens zum Ende dieses Jahrhunderts CO2-neutral werden. Ja, das ist eine Herkulesaufgabe für die gesamte Menschheit, und ja, das wird teuer. Aber spätestens seit Nick Sterns Klima-Report 2006 wissen wir, dass die Kosten des Nicht-Handelns höher sein werden als die des Handelns. Der CO2-Ausstoß hat also schon längst seinen Preis, bezahlen müssen wir ohnehin, die Frage ist nur, wieviel – und wie wir die Kosten verteilen. Ein starker, vorhersehbarer, wirksamer, weltweiter CO2-Preis muss jetzt endlich das richtige Signal an den Markt senden: Luft verpesten lohnt sich nicht.
Ein Welt-Preis für Kohlendioxyd muss kein Profitkiller sein, wie vielleicht manche befürchten, sondern ist, entschuldigen Sie, ein ökonomisches Aphrodisiakum. Er kann den Anreiz, ja, die Lust auf Innovation steigern. Er belohnt diejenigen Unternehmer, die sich langfristig auf eine dekarbonisierte Wirtschaft einstellen. Er würde ein globales Wettrennen auslösen in den Laboren und Denkfabriken der Unternehmen und Universitäten, um die besten Lösungen für eine klimaneutrale Ökonomie zu entwickeln. Klimaschutz muss endlich profitabel werden. Längst haben das auch viele Firmen erkannt und werben selbst für eine CO2-Bepreisung, und 74 Staaten haben letzten Monat die Erklärung „Put a Price on Carbon“ der Weltbank unterschrieben, darunter alle EU-Staaten. Vielleicht sind wir der Realität eines wirksamen Preises für Kohlendioxyd näher, als wir zu hoffen wagten. Wird es die EU schaffen, aus den Fehlern des europäischen Emissionshandels die nötigen Lehren zu ziehen und seine globale Vorreiterrolle wieder ernst nehmen?
Damit bin ich auch schon bei meiner vierten Frage, auf die uns das Prinzip der Kostenwahrheit eine Antwort geben könnte:
- Wohin, Europa?
Ja, Europa ist müde. Die europäische Dauerkrise, die eine Wirtschaftskrise und Identitätskrise zugleich ist und sich zudem inmitten einer großen weltpolitischen Krise abspielt, ermüdet Bürger und politische Verantwortungsträger zugleich. Wer könnte da einem übel nehmen, die ökologisch-soziale Transformation auf bessere Zeiten verschieben zu wollen; verschieben auf den Tag, an dem wir wieder Kraft und Mut und einen klaren Kopf haben, um diese gigantische Zukunftsaufgabe anzugehen? Können wir wirklich jetzt, in Zeiten der globalen Unordnung und innereuropäischen Erschöpfung, unsere Gesellschaft umbauen, unser Wachstumsverständnis überdenken, das Preisgefüge unserer Wirtschaft auf den Kopf stellen? Ja, wir können und wir sollen; und zwar nicht trotz, sondern wegen der Krise. Wir brauchen jetzt eine große strategische Antwort auf die Unübersichtlichkeit dieser Jahre. Denn die Wahrheit ist doch: Wir haben kein Konjunkturproblem, sondern ein Strukturproblem. Wenn wir jetzt die Weichen richtig stellen und unsere Wirtschaft strukturell für ein post-fossiles Zeitalter umbauen, mit den richtigen Preisanreizen, dann werden Kreativität und Innovationen freigesetzt, die unsere Volkswirtschaften wieder in Schwung bringen können. Dann werden wir im Übrigen auch neue Antworten in unserer europäischen Identitätssuche finden. Europa ist eine Geschichte der überwundenen Krisen, Europa ist eine Geschichte des Ringens um Freiheit und Verantwortung, und damit ist Europa immer noch eine Geschichte der Inspiration für andere Erdteile. Wir können aus dieser Krise herausfinden und damit andere inspirieren. Wir können die große Transformation und den verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen der Welt zur neuen Geschichte Europas machen. Eine europäische ökologisch-soziale Marktwirtschaft als Vorbild und Vorreiter für die Welt, das ist eine Vision, für die es sich zu kämpfen lohnt. Natürlich ist das ein Suchprozess; natürlich machen wir Fehler und werden sie weiter machen, aber trial and error ist allemal besser als Stillstand. Ich glaube immer noch an ein mutiges Europa, das mit dieser Transformation beweisen kann, dass es weiterhin Avantgarde ist und damit vor allem auch die Jugend Europas inspiriert.
Meine Damen und Herren,
Die Kostenwahrheit als politische Umsetzung der europäischen Prinzipien von Freiheit und Verantwortung – das ist sowohl ordoliberal als auch ökoliberal, das ist konservativ und progressiv zugleich. Dass mir, dem politisch schwarz Sozialisierten, dieser Preis zuerkannt wird und dies von einem Roten und einem Grünen begründet wird, das sehe ich auch als Zeichen, dass diese Idee die Parteigrenzen sprengt; ganz so, wie die Herausforderungen dieses interdependenten Jahrhunderts quer zu allen ideologischen Demarkationslinien verlaufen. Das macht mir Hoffnung. Ich verstehe daher diesen Preis als Ermutigung und Verpflichtung, weiterhin für eine Welt zu streiten, in der wir die Verantwortung für unser Handeln übernehmen, und damit allen Menschen ein Leben in Würde und Freiheit ermöglichen, auch den zukünftigen Generationen.
Nochmals herzlichen Dank für diesen Preis, besten Dank für Ihre Worte, Herr Eichel, Herr Fücks, und Ihnen allen vielen Dank fürs Zuhören.