Die große Transformation in Zeiten des Unbehagens

Rede zum 25-jährigen Bestehen der Deutschen Bundesstiftung Umwelt
Berlin, 8. Dezember 2016



I.

Geburtstag zu feiern ist immer schön, aber am schönsten ist es, wenn man sich an die Geburt selbst noch erinnern kann. Deshalb bin ich heute sehr gerne hier. Für mich ist das 25-jährige Bestehen der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) nicht einfach nur ein Jubiläum, sondern auch Anlass für manch schöne Erinnerung, wie ich 1990 als junger Staatssekretär im Finanzministerium diese geniale Idee von Theo Waigel und Hans Tietmeyer bei ihrer Realisierung begleiten durfte. Seitdem habe ich die Arbeit der DBU mal aus der Nähe, mal aus der Distanz verfolgt. Heute gibt es da vieles zu feiern und manches zu bestaunen – tausende von geförderten Projekten, die Stärkung des Nachhaltigkeitsbewusstseins und natürlich Europas höchstdotierten Umweltpreis. Die DBU steht für eine ökologische Weitsicht, die wir heute mehr denn je nötig haben. Dazu gratuliere ich von Herzen!

Bei dieser Gelegenheit muss erwähnt werden, dass auch die Gründung der DBU selbst das Ergebnis solcher Weitsicht ist. Dass Theo Waigel als Finanzminister 1989 dem Kabinett antrug, den Privatisierungserlös der Salzgitter AG für die Gründung einer Umweltstiftung zu verwenden, das war damals keine Selbstverständlichkeit: Es standen ja weiß Gott andere Themen auf der Tagesordnung; und das Ausmaß der ökologischen Krise unseres Planeten hatten damals erst wenige erkannt. Deshalb hast du, lieber Theo, auch eine gute Portion politischer Courage bewiesen. Es wäre ja ein Einfaches gewesen, irgendein kurzfristiges Haushaltsloch zu stopfen, irgendeine zeitweilige Wohltat zu finanzieren. Begehrlichkeiten in diese Richtung gab es genug. Du hast weiter gedacht.

Dein Mut und deine Standfestigkeit haben sich ausgezahlt, daran gibt es 25 Jahre später keinen Zweifel. Das ist vor allem auch ein Verdienst der Leitung, also bis 2013 von Ihnen, lieber Herr Brickwedde und seitdem von Ihnen, Herr Dr. Bottermann, aber auch der Verdienst des Kuratoriums und der engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DBU: ihnen allen gebührt unser Dank!

Meine Damen und Herren,

Zu einem schönen Jubiläum gehört immer zweierlei, der dankbare Blick zurück und der mutige Blick nach vorne. Ich wurde gebeten, in meiner Festrede einen Blick in die Zukunft zu richten und über die Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, die sogenannte Agenda 2030, und den Pariser Klimavertrag zu sprechen, die beide letztes Jahr von allen Staaten der Erde vereinbart wurden. Das ist ein großes Thema, weil diese Rahmenvereinbarungen eine neue große Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft weltweit zum Ziel haben. Und dennoch erschien mir das Thema während der Vorbereitung meiner Rede plötzlich fast klein. Denn die Schwierigkeiten, auf die wir bei der Umsetzung einer ökologisch nachhaltigen Politik stoßen, sind nur Spiegelungen von sehr viel tiefer liegenden Dilemmata und Spannungen, mit denen unsere Gesellschaften, unsere Ökonomien und unsere politischen Systeme konfrontiert sind in diesem extrem komplexen 21. Jahrhundert.

Gestatten Sie mir deshalb einen Versuch, in meiner heutigen Rede einige dieser Spannungen sichtbar zu machen. Mir geht es um die Frage, wie die neue große Transformation möglich wird – mit all den Widersprüchen, die unserer Zeit innewohnen.

II.

Vielleicht fällt es uns so schwer, die Zukunft zu gestalten, weil wir unsere Gegenwart so schlecht verstehen. Und wir leben ja in einer seltsamen Zeit. Ausgerechnet jetzt, wo deutlich wird, dass unsere Probleme erstens komplex und zweitens global sind, scheinen jene Kräfte Oberhand zu gewinnen, deren Antworten erstens simpel und zweitens national sind. Aus der Tatsache, dass die großen Krisen unserer Zeit – Pandemien wie Ebola, Finanzkrisen, Klimawandel, die Flüchtlingskrise – mit den Mitteln des Nationalstaates allein nicht mehr zu bearbeiten sind, müsste ja eigentlich der Schluss gezogen werden, dass wir mehr internationale Zusammenarbeit brauchen, dass wir globale Lösungen brauchen. Stattdessen droht in vielen westlichen Demokratien die Diskreditierung globaler Kooperation plötzlich mehrheitsfähig zu werden. Das ist nicht nur paradox sondern offenbart auch ein gehöriges Stück Heuchelei. Denn es war ja gerade der Westen, der nach dem zweiten Weltkrieg das bestehende internationale Kooperations- und Handelssystem aufgebaut hat und davon am meisten profitiert hat:

Was Amerika „great“ gemacht hat, das waren doch eben gerade nicht die Mauern, sondern vielmehr die Weltoffenheit einer Nation, deren Präsident mit Autorität rufen konnte „tear down this wall“, weil sein Land der Beweis war, dass es zum eigenen Vorteil ist, sich nicht einzumauern sondern der Welt die Hand auszustrecken, ob mit Handel oder Popkultur oder einer Green Card.

Und was Deutschland zum europäischen Klassenprimus gemacht hat, das war seine Anstrengung, aber eben auch seine kluge Positionierung als Ausrüster des Wachstums in Europa und der Welt. Einer von vier Jobs in Deutschland ist vom Export abhängig; da muss man doch rot werden, wenn man jetzt so tut, als würde man nationale Interessen verteidigen, indem man die Idee offener Grenzen verflucht!

Wovon die Populisten profitieren, das ist das flaue Gefühl im Magen der Menschen in einer sich rasch wandelnden Welt. Eine Welt, in der die Politik vieles nicht mehr unter Kontrolle zu haben scheint – siehe Ebola, siehe Finanzkrise, siehe Flüchtlingskrise. Die Rhetorik des Mauern Bauens zielt darauf ab, eine Illusion von Kontrolle herzustellen.

Das Unbehagen vieler Menschen angesichts der Komplexität der globalen Zusammenhänge, die Angst, dass die sich abzeichnenden Veränderungen die eigene materielle Zukunft gefährden – das alles ist ernst zu nehmen. Und die Politik wird scheitern, wenn sie darauf Antworten gibt, die sich im business as usual erschöpfen.

Aber es macht mich zornig zu sehen, wie die Scharlatane mit ihren politischen Mogelpackungen dieses Unbehagen ausnutzen, wie sie falsche Hoffnung verkaufen und damit die Lösung jener Fragen, die die Menschen umtreiben, nur noch schwerer machen. Denn echte Alternativen werden ja nicht angeboten. Es ist doch zum Beispiel kein Zufall, dass die neuen Rechten in der ganzen Welt den menschengemachten Klimawandel leugnen, übrigens auch die AfD. Wenn es ein Problem gibt, auf das die Lösung eines sich abschottenden Nationalstaates ganz offensichtlich nicht passt, wird dieses Problem einfach für nichtexistent erklärt.

Meine Damen und Herren,

Ich kann und will heute Abend kein Patentrezept gegen den nationalen Populismus anbieten, und es ist auch nicht das Thema meiner Rede. Was mich interessiert, das ist die Frage, wie Veränderung möglich ist in einer Atmosphäre des Unbehagens und der Polarisierung. Drei Schritte erscheinen mir wichtig: die Politik muss erstens das Unbehagen selbst wahrnehmen und verstehen lernen. Sie muss zuhören, warum manche Menschen Angst vor dem Verlust ihrer Autonomie, Beteiligung und Würde haben. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass zum Beispiel die Auseinandersetzungen um die Flüchtlingspolitik auch eine Proxy-Diskussion für sehr viel tiefer liegende Verlustängste sind. Die Politik muss zweitens die komplexen Faktoren, die zu diesem Unbehagen beitragen, transparent machen – weil Angst auch aus Unkenntnis erwächst. Und sie muss klarmachen, dass ein Verharren im Status quo ein viel größeres Risiko birgt, als die Herausforderungen anzunehmen. Auf dieser Grundlage muss dann drittens konkrete Politik gestaltet werden, die sich nicht in Symbolhandlungen erschöpft, sondern echte Veränderung bringt.

Wir können die Komplexität der Welt nicht dadurch reduzieren, dass wir sie ignorieren – aber wir können Zusammenhänge aufzeigen und wir können Lösungen anbieten, die der Komplexität gerecht werden. Ich bin überzeugt: Wenn die Politik Ernsthaftigkeit demonstriert in ihren Antworten und echte Wirkungen zum Maßstab macht, dann entsteht auch wieder Vertrauen in die Lösungsfähigkeit des Staates. Ohne dieses Vertrauen wird keine Transformation möglich sein.

Das klingt abstrakt, aber ich werde konkreter, versprochen. Lassen Sie mich beginnen mit einer Schilderung dessen, was ich als Ausgangslage für die große Transformation verstehe.

III.

Die weltweite Verbrennung fossiler Energieträger hat die Treibhausgase in der Atmosphäre auf ein beispielloses Niveau getrieben. 15 der 16 heißesten Jahre seit dem Beginn der Klimaaufzeichnungen liegen im 21. Jahrhundert. Und während wir bei jeder Schneeflocke im November Witze darüber machen, dass das mit dem Klimawandel ja so ernst nicht sein kann, bedroht die globale Erwärmung schon heute diejenigen am meisten, die am wenigsten dazu beigetragen haben: seien es die Nomaden der Sahelzone, die Bewohner der Pazifikinseln oder die Bauern in den Anden. Wir werden die Folgen spätestens dann direkt zu spüren bekommen, wenn sich diese Menschen als Klimaflüchtlinge auf den Weg machen. Die Vereinten Nationen schätzen ihre Zahl in den nächsten 30 Jahren auf bis zu 200 Millionen, sollte das Zwei-Grad-Ziel nicht erreicht werden.

Und während man einen Flüchtling auch wieder zurückschicken kann (fragt sich nur wohin, wenn seine Heimat dann unter dem Meeresspiegel liegt), sind die meisten ökologischen Folgen der Erderwärmung irreversibel. Unser Ökosystem ist eben nicht wie die Zimmerpflanze im Wohnzimmer, von der man sich einfach eine neue kaufen kann, wenn sie eingeht. Wir nähern uns in vielen Bereichen gefährlichen Kipp-Punkten, die, einmal überschritten, zu abrupten und unumkehrbaren Veränderungen im Erdsystem führen können. Sei es das Abschmelzen des Grönlandeises, der Hitzekollaps tropischer Korallenriffe oder die Destabilisierung des indischen Monsuns – die Folgen für den Menschen wären schwer vorhersehbar und kaum zu kontrollieren. Das macht die Herausforderung der Bekämpfung des Klimawandels so einzigartig: dass sie konkrete zeitliche Anforderungen an die Klimapolitik stellt und damit eine ganz neue Qualität von Politik erfordert, die sich an Terminen messen lassen muss. Mit dem Klima kann man um keinen Aufschub verhandeln. Die in der Politik so beliebte Methode des Zeit-Kaufens stößt hier an ihre Grenzen. Ich komme später noch einmal darauf zurück.

Es ist aber vor allem noch ein anderer Faktor, der zeigt, dass die ökologische Krise eine Politik in neuen Dimensionen verlangt: das ist das globale Bevölkerungswachstum und die immer noch extreme Armut, in der über eine Milliarde Menschen leben. Die Dekarbonisierung des Wirtschaftsmodells der Industriestaaten wäre als Aufgabe ja schon schwer genug. Wir müssen aber gleichzeitig massives Wirtschaftswachstum in den armen Ländern ermöglichen – dort werden Krankenhäuser und Schulen und Straßen und Energienetze und Dienstleistungen und Industriebetriebe gebraucht, um den Menschen Bildung, Arbeit, Einkommen zu geben, also die Perspektive auf ein Leben in Würde. Von welcher materiellen Substanz aber soll sich dieses Wachstum nähren, wenn wir doch schon jetzt an die ökologischen Grenzen unseres Planeten stoßen?

Ich stelle diese Frage, weil ich mir ehrlich gesagt nicht immer ganz sicher bin, ob wir angesichts der Leichtigkeit, mit der uns allen die Nachhaltigkeitsrhetorik mittlerweile von den Lippen geht, die gigantische Dimension dieser Herausforderung begriffen haben. Erst wenn wir eine Perspektive auf den Globus als Ganzes einnehmen und die Armuts- und Umweltfrage gemeinsam betrachten, bekommen wir eine Ahnung dessen, was uns bevorsteht. Die größte Herausforderung der Menschheit im 21. Jahrhundert ist es, allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen, ohne dabei unseren Planeten zu zerstören. Das kann und wird nicht mit dem jetzigen Wohlstands- und Wachstumsmodell der Industrieländer gelingen. Wenn alle Menschen so produzieren und konsumieren würden wie die Europäer und Amerikaner, dann bräuchten wir drei oder vier Planeten in Reserve. Die haben wir aber nicht.

Und die Antwort kann auch nicht lauten: dann sollen die anderen es halt anders machen. Das wäre dann die Definition von unmoralisch. Der von mir sehr geschätzte Philosoph Vittorio Hösle hat einmal geschrieben: „Da die Universalisierbarkeit das Prinzip der modernen Ethik ist, besagt die Einsicht, dass unser Lebensstil nicht universalisierbar ist, nach den eigenen Maßstäben der Moderne nichts anderes, als dass er unmoralisch ist“. Ich musste daran denken, als ich vor ein paar Monaten in Sambia auf der Jahrestagung der Afrikanischen Entwicklungsbank war. Da habe ich gelernt, dass Deutschland als Anteilseigner der Bank die Finanzierung eines neuen Kohlekraftwerks in Südafrika ablehnt. Klimapolitisch sicherlich eine nachvollziehbare Entscheidung. Aber mir sagten die afrikanischen Präsidenten auch: „Dear brother, wir wissen genau, dass ihr in Deutschland immer noch an der Kohle hängt. Wegen der Arbeitsplätze. Und jetzt wollt ihr uns erzählen, wir müssen darauf verzichten? Wie sollen sich denn ohne eine stabile Energieversorgung Industriebetriebe ansiedeln? Braucht unsere Jugend denn keine Arbeitsplätze?“, so meine afrikanischen Gesprächspartner.

Meine Damen und Herren, ich werde mich davor hüten, beim Jubiläum der DBU für neue Kohlekraftwerke in Afrika zu werben. Denn es gibt ja Alternativen. Aber die Alternativen gibt es doch auch bei uns! Und darauf will ich hinaus: Wenn wir die extreme Armut beenden wollen, und wenn wir dabei den Planeten nicht zerstören wollen, dann ist eine neue große Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft unvermeidlich. Und diese Transformation muss zuallererst bei uns in den Industrieländern stattfinden. Das ist keine kleine Verantwortung. Aber der Vorteil, den wir bisher aus der ungleichen und, ja, ungerechten Verteilung der natürlichen Ressourcen gezogen haben, der war auch alles andere als klein. Und so muss die Transformation jetzt vor allem hier bei uns verändern, wie wir Energie produzieren und verbrauchen, wie wir uns fortbewegen, wie wir uns ernähren. Dieser grundlegende Wandel wird uns einiges abverlangen – aber vor allem bietet er uns neue Chancen.

Wer über die Großaufgabe der Transformation zu Nachhaltigkeit spricht, muss dies auch im Kontext einer zweiten großen Veränderungswelle tun, nämlich der digitalen Revolution, also den gigantischen und rasend schnellen Fortschritten in der Robotik und der Kommunikationstechnologie. Ich kann aus Zeitgründen heute Abend nicht auf diesen Aspekt eingehen, doch es ist wichtig zu erkennen: beide, die große Transformation und die digitale Revolution, werden dieses Jahrhundert grundlegend prägen. Sie können beide voneinander profitieren. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass ihre Gleichzeitigkeit die Veränderungsbereitschaft von Wirtschaft und Gesellschaft auf eine harte Probe stellt.

Ich werde im zweiten Teil meiner Rede auf einige Schwierigkeiten, Dilemmata und einige mögliche Lösungsbeiträge eingehen, die ich für die ökologische Transformation sehe. Zunächst aber ein Blick auf etwas, was mich froh stimmt.

IV.

Aus der Welt der internationalen Politik sind wir ja in diesen Zeiten fast nur schlechte Nachrichten gewohnt. Da sollten wir uns nicht schämen, an den wenigen guten Nachrichten unsere Hoffnung zu wärmen wie kalte Finger an einem winterlichen Lagerfeuer. Ich will die Metapher jetzt nicht überdrehen, aber letztes Jahr gab es zwei solcher Hoffnungsfeuer und wir sollten verdammt nochmal schauen, dass sie weiterbrennen.

Ich spreche von der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und dem Pariser Klimavertrag. Das Zustandekommen beider Abkommen ist selbst schon ein kleines Wunder: Sie zeigen, dass trotz aller Unterschiede – und selbst inmitten von großen internationalen Konflikten – Begegnung und Zusammenarbeit möglich ist. Ich sehe die Agenda 2030 und das Paris-Abkommen als strategische Antithese zur gegenwärtigen Stimmung des Rückzugs ins Nationale, der Spaltungen und des Verfalls. Ich sehe beide auch als Zeichen, dass die Vereinten Nationen nicht irrelevant geworden sind, sondern dass wir sie mehr brauchen denn je. Mir macht das Hoffnung.

Vor allem macht mir aber auch Hoffnung, dass die Nachhaltigen Entwicklungsziele und Paris in ihrem Inhalt einen wertvollen Konsens beschreiben – eine Übereinkunft der Staatengemeinschaft, dass wir die erste Generation sein wollen, die die extreme Armut beendet, und die letzte Generation, die vom Klimawandel bedroht ist. Die Agenda 2030 und ihre Ziele versuchen sich an ebenjener Quadratur des Kreises, die ich beschrieben habe, nämlich die ökonomische, ökologische und soziale Dimension von Entwicklung gemeinsam zu betrachten. Und im Gegensatz zu den vorhergehenden Millenniums-Entwicklungszielen sind die Nachhaltigen Entwicklungsziele, die SDGs, eben kein Reformprogramm für Entwicklungsländer, sondern eine Transformationsagenda für alle Staaten. All das finde ich ehrgeizig, und es war überfällig.

Ich gebe gerne zu: Natürlich bekomme ich bei den 17 Zielen und 169 Unterzielen auch Kopfschmerzen. Und natürlich sind gerade die SDGs juristisch gesehen nicht viel mehr als eine Absichtserklärung. Und ja, wenn man sich den Zielkatalog mal genauer anschaut, dann findet man auch dort so manchen Zielkonflikt und einen wenig reflektierten Wachstumsbegriff. Aber: Die Agenda 2030 und das Pariser Klimaabkommen geben doch gemeinsam einen Rahmen für die große Transformation vor. Sie sind kein globaler Masterplan, aber ein Kompass. Und dass man sich auf diesen Kompass einigen konnte, das sollten wir in seiner Signalwirkung nicht unterschätzen – jetzt kann keiner mehr behaupten, er wisse nicht, in welche Richtung die Reise gehen soll.

V.

Meine Damen und Herren,

auch Deutschland hat die Agenda 2030 und den Pariser Klimavertrag unterschrieben und ordnet damit die eigene Politik in diesen ehrgeizigen internationalen Referenzrahmen ein. Wenn ich in der Welt unterwegs bin, dann höre ich oft viel Respekt für die deutsche Nachhaltigkeitspolitik. Das Flaggschiff Energiewende wird im Ausland oft mit Bewunderung verfolgt (wenn es auch nicht selten eine skeptische Bewunderung ist). Und es blieb auch nicht unbemerkt, dass Deutschland im Juli beim High Level Political Forum, das die Umsetzung der Agenda 2030 beobachten soll, zu den Pilotländern gehörte, die erstmals über ihren Umsetzungsstand berichteten. Bei der Klimakonferenz in Marrakesch vor zwei Wochen war Deutschland eines von nur vier Ländern, die überhaupt einen halbwegs konkreten Zeitplan hinterlegt haben, wie die Klimaziele bis zum Jahr 2050 erreicht werden sollen. Das will ich nicht kleinreden. Ich will auch nicht kleinreden, dass das Bundeskabinett in Kürze eine komplett überarbeitete Nachhaltigkeitsstrategie verabschieden wird, die sich zu allen 17 SDGs positioniert und mit 50 Indikatoren die Fortschritte messen will. Das ist mehr als wir bisher hatten.

Aber ist es auch genug? Und reicht es uns, im internationalen Vergleich ganz gut dazustehen?

Bevor Sie jetzt sagen, „dem Köhler kann man es aber auch nie recht machen“: es geht nicht darum, die Transformation in Deutschland an meinen, Köhlers, Ansprüchen und Erwartungen zu messen. Es geht darum, die Transformation an den Maßstäben zu messen, welche die Realität des Klimawandels selbst uns stellt. Und da darf man sich schon fragen: Ist das notwendige Ausmaß und das notwendige Tempo des Wandels schon erkannt?

Ich möchte Ihnen zwei Beispiele nennen, die mich in letzter Zeit nachdenklich gemacht haben.

Das erste Beispiel ist unser Klimaschutzplan selbst. Für den interessierten Zeitungsleser war der Entstehungsprozess eher schmerzhaft zu beobachten, wie da ein beachtlicher Ehrgeiz der Umweltministerin in den Mühlen der Ressortabstimmung so geschliffen wurde, bis am Ende nur noch ein Plan übrigblieb, der nicht mehr ehrgeizig, sondern nur noch geizig ist – geizig an politischem Mut und echter Innovationskraft. Der Plan listet auf, in welcher Branche bis wann wieviel CO2-Einsparungen erreicht werden müssen – aber er hält sich bei der Benennung des dafür notwendigen Wandlungsbedarfes zurück. Es wissen ja alle, dass die Ziele nicht zu erreichen sind ohne den Abschied vom Verbrennungsmotor, ohne den Kohleausstieg, ohne eine Reduktion des Fleischkonsums, ohne eine ökologische Steuerreform. Es wissen ja alle, dass bestimmte Transformationsaufgaben nicht mit inkrementellen Verbesserungen, sondern nur mit einem klaren Richtungswechsel zu schaffen sind. Und dennoch druckst man herum anstatt sich ehrlich zu machen, dennoch wird aufgeschoben anstatt angepackt. Was läuft da schief? Warum fällt es der Politik so schwer, das Wissen in Handeln zu übersetzen?

Ein zweites Beispiel ist die deutsche Automobilindustrie. Die ist ja derzeit ein wenig zerknirscht ob des Abgasskandals und der schleichenden Erkenntnis, dass man etwa in der Elektromobilität den Innovationswettbewerb verschlafen hat. Die Frage stellt sich: Warum schlich und schlurfte diese Erkenntnis so sehr, anstatt zu galoppieren?

Es gab Zeiten, da hat man als Bundespräsident böse Briefe von Lobbyisten bekommen, wenn man öffentlich kritische Fragen zur Zukunft der deutschen Automobilbranche gestellt hat. Dabei musste seit mindestens einem Jahrzehnt z.B. für jeden Chinareisenden klar werden, dass die muntere Verkaufsparty dicker Autos auf dem gigantischen chinesischen Markt, welche die Euphorie der Autohersteller über das eigene Produkt so antrieb, irgendwann ihr Ende finden würde. Mit jedem Chinesen mehr, der auf offener Straße eine Schutzmaske trug, wurde die Problematik des Modells Verbrennungsmotor deutlicher. Als ich 2007 auf Staatsbesuch in China war, da nahm mich nach einem Termin an der Tongji-Universität der Uni-Präsident auf die Seite und flüsterte mir zu, er wolle mir etwas zeigen. Er führte mich auf einen kleinen Hinterhof, auf dem ein VW Jetta stand. Der VW war vollgepackt mit Batterien. Ich stand vor einem Experiment, das den chinesischen Traum von abgasfreier Mobilität befeuerte. Der Uni-Präsident trat übrigens noch im selben Jahr seinen Dienst als Forschungsminister an und ist es bis heute.

Während die Chinesen an Innovationen tüftelten und deutliche staatliche Vorgaben für den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor vorbereiteten, bastelten einige deutsche Autobauer an innovativen Manipulationssoftwares und setzten sich mit aller Kraft dafür ein, die staatlichen Umwelt-Vorgaben zu verwässern, zuletzt mit Erfolg 2013 in Brüssel, wo bei der Festlegung der CO2-Grenzwerte für PKW noch ein bisschen mehr Zeit und ein paar Gramm CO2 mehr herausgeschunden wurden.

Auch hier wieder die Frage: Was läuft da schief? Warum fällt es so schwer, Wissen in Handeln zu übersetzen?

Ich möchte zwei Spannungsfelder schildern, die uns vielleicht der Antwort auf diese Fragen näherbringen.

VI.

Meine Damen und Herren,

die menschliche Existenz ist voller Widersprüche: wir Menschen können lieben und hassen zugleich, wir Menschen wissen oft, was richtig wäre und tun doch das Falsche. In der Politik spiegeln sich diese Grundbedingungen des Menschseins wieder, denn sie ist ja nichts anderes als die Kollektivierung all der widersprüchlichen Bedürfnisse und Hoffnungen und Ängste, die jeder von uns in sich trägt. Demokratische Politik ist der Versuch, die abermillionen Interessen, die es in einer Gesellschaft gibt, unter einen Hut zu bringen. Politik ist Interessensausgleich.

Was nun die Transformation aber so schwierig macht, das ist die Tatsache, dass wir diesen Interessensausgleich nicht mehr nur mit Blick auf unser eigenes Land organisieren müssen, sondern dass wir die räumliche und auch die zeitliche Perspektive ausdehnen müssen. Politik im interdependenten 21. Jahrhundert heißt, die künftigen Generationen ebenso zu berücksichtigen wie die anderen Erdteile. Anders ausgedrückt: Unsere Demokratie hat Begrenzungen in Raum und Zeit, aber die Lösungen, welche die Demokratie produzieren soll, müssen genau diese Grenzen transzendieren. Das ist der Kern des Dilemmas, das echte transformative Politik so herausfordernd macht.

Das wird besonders deutlich im Verhältnis zwischen der Kurzfristigkeit und Langfristigkeit unserer Entscheidungen. Unser demokratisches System ist klaren Zeithorizonten unterworfen: Alle vier Jahre gibt es eine Bundestagswahl, die ein Parlament und eine Regierung auf Zeit legitimiert. Dass jeder Abgeordnete seine Entscheidungen so trifft, dass er möglichst bei der nächsten Wahl wieder das Vertrauen der Wähler erhält, das ist nichts Verwerfliches, sondern die Legitimationsgrundlage des Systems. Wir legitimieren damit aber die Politik zu einem Zeitpunkt, zu der ihre langfristigen Auswirkungen noch gar nicht zum Tragen gekommen sind, weder im Guten noch im Schlechten. Deshalb verführt unser System dazu, die bequemen kurzfristigen Lösungen den unbequemen langfristigen Lösungen vorzuziehen. Das macht zum Beispiel den Kohleausstieg so schwierig. Und so muss jede Generation mit den Folgen der Politik der Vorgängergeneration leben, obwohl sie daran nicht beteiligt war.

Dieses Dilemma lässt sich nicht einfach auflösen. Wir können nicht die demokratische Mehrheit der Gegenwart im Namen der Zukunft übertrumpfen – das wäre dann die Ökodiktatur. Aber wir brauchen ein neues Bewusstsein für die langfristigen Folgen von Politik, die im Anthropozän eben teilweise irreversibel sind. Hans Jonas hat das schon 1979 mit seinem „Prinzip Verantwortung“ auf den Punkt gebracht: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“.

Wenn ich darüber nachdenke, wie wir dieses Prinzip in unserer Demokratie noch systematischer stärken können, wie wir die politische Ökonomie zugunsten der Transformation verändern können, dann fällt mir vor allem die junge Generation ein. Ich glaube, wir sollten Fragen von Nachhaltigkeit, aber auch von politischer Beteiligung noch viel stärkere Aufmerksamkeit in den Bildungsprozessen widmen. Und ich finde, dass unserem Land ein allgemeines Wahlalter ab 16 Jahren gut tun würde. Wer rauchen darf, soll auch wählen dürfen – wem wir erlauben, langfristig seinen eigenen Körper zu schädigen, dem sollten wir auch zutrauen, über die Zukunft unserer Gesellschaft mitzuentscheiden.

Eine vorausschauende, weitsichtige Politik ist nicht nur eine moralische Frage, sondern auch eine ökonomische. Das überlange Festhalten an der Kohle hat uns politisch und finanziell schon gigantische Kosten verursacht. Im Automobilsektor könnten solche Lernkosten noch einmal größer ausfallen: je länger man sich vor bestimmten Anpassungsprozessen drückt, desto härter und teurer wird die Anpassung, wenn sie dann irgendwann unausweichlich ist. Das ist auch der Grund, weshalb ich das beliebte Argumentieren mit Arbeitsplätzen, das etwa bei den Brüsseler Interventionen vorgeschoben wurde, für so unredlich halte. Ja, rund 800.000 Jobs hängen derzeit in Deutschland direkt an der Autoproduktion. Und ja, jeder dauerhafte Verlust eines solchen Arbeitsplatzes ist schmerzhaft, für den Einzelnen und die Gesellschaft. Aber das kann doch keine Ausrede dafür sein, den notwendigen Strukturwandel immer wieder hinauszuschieben – im Gegenteil, das beschreibt doch gerade die Verantwortung, Jobs durch frühzeitige Innovationen zu sichern und nicht dadurch zu gefährden, dass man die Augen vor der unbequemen Realität verschließt! Und die Realität heißt, dass die Dekarbonisierung der Wirtschaft kommen wird. Jetzt scheint in der Autobranche endlich ein Umdenken einzusetzen: Dass sich die deutschen Autobauer etwa jüngst dazu entschlossen hat, europaweit für die nötige Ladeinfrastruktur für Elektroautos zu sorgen, kann man als positives Zeichen deuten: Der Kampf um die Jobs und Gewinne von heute darf den Kampf um die Jobs und Gewinne von morgen nicht lähmen.

Die Schwierigkeit, kurzfristige Gewinne mit der langfristigen Sicherung der Geschäftsgrundlage in Einklang zu bringen, ist Grundkonstante jedes verantwortungsvoll geführten Unternehmens in einer Marktwirtschaft. Diese Spannung wird es weiterhin geben. Aber ich glaube auch, dass wir zu einem neuen Verhältnis zwischen Markt und Staat kommen müssen. Dieses Verhältnis ist das zweite Spannungsfeld, über das ich sprechen möchte.

Markt und Staat, das ist ja bei uns in Deutschland ein recht ideologisch aufgeladenes Thema, voller Zerr- und Idealbilder. Für die einen richtet der Markt alles, für die anderen geht ohne staatliche Lenkung gar nichts. Die einen wittern in jedem staatlichen Eingriff gleich die Ökodiktatur, die anderen unterstellen jedem Privatunternehmen gleich, es schädige mit seinen Profitinteressen der Gemeinschaft. Dabei lenken diese ritualisierten Gegenüberstellungen nur ab – natürlich brauchen wir Markt und Staat, damit die Transformation gelingt. Der Markt schafft Innovationen im Wettbewerb der Ideen und auch mit kreativer Zerstörung. (Wenn man die Liste der Preisträger des Umweltpreises der DBU durchgeht, findet man übrigens viele gute Beispiele für dieses Potential des Marktes, ökologische Innovationen hervorzubringen). Aber der Markt richtet eben nicht alles von alleine zum Guten. Die „unsichtbare Hand“ kann nur unter bestimmten Bedingungen funktionieren, denen der Staat Geltung verschaffen muss. Zu diesen Bedingungen gehören der freie Wettbewerb und Preise, die die Wahrheit sagen, also die tatsächlichen Kosten eines Produktes widerspiegeln. Und an dieser Stelle lügt sich der freie Markt derzeit ganz schön in die eigene Tasche. Denn wir leben ja in einer globalen Externalisierungsökonomie, die die wahren sozialen und ökologischen Kosten von Produktion auf andere Erdteile und zukünftige Generationen auslagert. Mit freiem Wettbewerb hat das wenig zu tun, weil jene, die aus Eigenverantwortung versuchen, die echten Kosten einzupreisen, im Wettbewerb viel schwerer mithalten können und quasi auf nachhaltigkeitsbewusste Konsumenten angewiesen sind.

Deshalb ist die globale Erwärmung das größte Marktversagen in der Geschichte der Menschheit. Weil der  Ausstoß  von  Kohlendioxyd noch immer weitgehend gratis ist, geht die CO2-Party in absoluten Zahlen unvermindert weiter, schließlich werden die Folgekosten des Klimawandels von der Allgemeinheit übernommen. Da würde sich der geistige Vater der Marktwirtschaft, Adam Smith, im Grabe umdrehen.

Wir brauchen deshalb jetzt endlich einen wirksamen Preis auf CO2, und zwar entweder durch eine Steuer oder einen Emissionshandel, der funktioniert. Erst dann würden diejenigen Unternehmer belohnt, die sich langfristig auf eine dekarbonisierte Wirtschaft einstellen. Ein echter, weltweiter CO2-Preis würde ein globales Wettrennen auslösen in den Laboren und Denkfabriken der Unternehmen und Universitäten, um die besten Lösungen für eine klimaneutrale Ökonomie zu entwickeln.

Und ein solches langfristiges Preissignal kann nur der Staat setzen. In der Spannung zwischen unternehmerischer Freiheit und staatlicher Regulierung wird immer ein Ringen um die richtige Balance nötig sein. Aber unter den Bedingungen der Transformation sollte der Staat seinen Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Markt ablegen – das sage ich als in der Wolle gefärbter Marktwirtschaftler. Kluge und klare Ordnungspolitik blockiert Innovationen nicht, sondern ermöglicht sie überhaupt erst. Dazu muss Ordnungspolitik die Richtung und den Rahmen setzen, für Wettbewerb und Kostenwahrheit sorgen und damit langfristige Signale an die Wirtschaft senden. In die konkrete Ausgestaltung der technischen Lösungen sollte sich der Staat dann nicht mehr einmischen. In diesem Spannungsfeld zwischen ordnungspolitischer Stabilität einerseits und Wandel durch unternehmerische Freiheit andererseits kann der Suchprozess Transformation gelingen.

VII.

Meine Damen und Herren,

es gibt keine Veränderungen ohne Widersprüche, ohne Konflikte. Aber ich bin fest davon überzeugt – wenn diese Konflikte auf den Tisch gebracht werden, kenntlich gemacht werden, die Komplexität nicht verschwiegen wird, dann verliert Politik nicht an Glaubwürdigkeit, sondern gewinnt sie. So könnte uns die Transformation auch wieder neues Vertrauen lehren – Vertrauen in die Lösungsfähigkeit unseres Staates und die Zukunftsfähigkeit unserer sozialen Marktwirtschaft.

Ich glaube fest daran, dass nicht Planwirtschaft und Autoritarismus, sondern Marktwirtschaft und Demokratie die besseren Systeme für die Umsetzung der Transformation sind: weil sie die nötige Kreativität freisetzen, weil sie auch einen Lernprozess als trial and error zulassen, weil sie der Tatsache Rechnung tragen können, dass es keinen Masterplan gibt für die Transformation, sondern unzählige dezentrale Transformationen, die von unten wachsen müssen und sich in der langen Frist zu einem Gesamtbild fügen.

Und ich glaube fest daran, dass demokratische Politik mehr ist als die Summe aller Einzelinteressen. Was jeden von uns als Individuum überfordern würde, das muss und kann Politik erreichen, nämlich im Dickicht der Widersprüche und Dilemmata einen Weg zu bahnen in eine Welt, die allen Menschen ein Leben in Würde ermöglicht, ohne die Zukunft des Planeten aufs Spiel zu setzen.

Dieser Weg wird neue Gewinner und neue Verlierer produzieren, das ist das Wesen jeder echten Veränderung. Aber wir haben es in der Hand, wie wir damit umgehen – und ja, angesichts des technologischen Wandels und der Automatisierung vorhersehbarer Arbeit werden wir auch ganz neu über Verteilungspolitik nachdenken müssen und darüber, ob Lohnarbeit die einzige Möglichkeit bleiben kann, Menschen an der Gesellschaft zu beteiligen. Das ist nur eine der vielen ungelösten Fragen, mit denen uns die Transformation konfrontiert. Aber es ist, wie alle anderen auch, eine grundsätzlich lösbare Frage. Ihre Lösung erfordert nicht zuletzt auch politischen Mut. Und in ihrer Lösung liegen ungeahnte Chancen für ein neues Miteinander.

Das ist mein letzter Punkt für heute: Ich glaube, wir dürfen die große Transformation nicht als Gruselgeschichte erzählen, sondern als Hoffnungsgeschichte. Bei allem Unbehagen über diese neue Welt sind in unseren Gesellschaften ja auch Neugier und ein enormer Hunger auf Veränderung zu spüren. Viele Menschen merken und wissen, dass es so wie bisher irgendwie nicht weitergehen kann. Dass die ungelösten Widersprüche unserer Wirtschaftsweise das System an seine Grenzen bringen. Die große Transformation kann Hoffnung und Richtung geben in einer orientierungslosen Zeit: Es ist möglich, so lautet die Geschichte, unseren Wohlstand zu erhalten, unseren Gesellschaften neuen Sinn einzuhauchen, wenn wir den Wandel selbst gestalten und ihm nicht ausweichen. Es ist möglich, in Würde so zu leben, dass mein Lebensstil auch Menschen in anderen Erdteilen und auch meinen Enkelkindern ein Leben in Würde erlaubt. Alle Menschen tragen die Sehnsucht nach einer friedlichen Welt in sich. Und alle Menschen brauchen saubere Luft zum Atmen. Damit ist das Grundprinzip der großen Transformation, nämlich der Respekt vor der Interdependenz und Permanenz menschlichen Lebens auf diesem Planeten, schon in unserem Menschsein angelegt. Nie war es wichtiger als heute, daran zu erinnern.

Und deshalb sage ich heute Abend gerade an diejenigen hier gerichtet, die seit Jahren und Jahrzehnten für globale Zusammenarbeit und den Schutz der Umwelt kämpfen: Lassen Sie sich jetzt nicht kirre machen, lassen Sie sich die Relevanz Ihrer Aufgabe nicht kleinreden, sagen Sie mit Mut und auch mit Stolz, dass Sie nicht trotz, sondern gerade wegen all der Krisen an dieser Transformation arbeiten. Denn die große Transformation ist ja nicht die Ursache, sondern die Antwort auf das Unbehagen vieler Menschen.

Wagen Sie es aber auch, sich dort in Frage zu stellen, wo es zu gemütlich geworden ist, gehen Sie raus aus den Silos Ihrer Fachlichkeiten und Communities, gehen Sie auf jene zu, die eine andere Perspektive auf die Welt haben, reden Sie auch mit jenen, die mit Ihnen nichts anfangen können, und mit jenen, die Angst vor Veränderungen haben.

Hören Sie ihnen zu. Und dann: erzählen Sie ihnen eine Hoffnungsgeschichte.