„Bausteine für eine zeitgemäße Philosophie der Zusammenarbeit mit Afrika“

„Afrikawissenschaft trifft Praxis“: Symposium im Gedenken an Prof. Dr. Franz Ansprenger

Berlin, 6. September 2021



Herzlichen Dank, Frau Dr. Eid,
und herzlichen Dank der Deutschen Afrika Stiftung für die Organisation dieses Symposiums.
Exzellenzen, meine Damen und Herren,
wie wichtig Franz Ansprenger war, für die Afrikawissenschaften in Deutschland und für das Verständnis von Afrika, das zeigen Sie alle, seine vielen ehemaligen Schülerinnen und Schüler hier im Saal! Es freut mich, heute unter so vielen Freunden Afrikas zu sein.
Wie wichtig es ist, sein Lebenswerk weiterzutreiben, zeigen die Fakten: Als Franz Ansprenger 1968 die „Arbeitsstelle Politik Afrikas“ gründete, hatte Afrika rund 400 Millionen Einwohner. Heute sind es rund 1,3 Milliarden, bis 2050 könnten es zweieinhalb Milliarden sein, dann ein Viertel der Weltbevölkerung. Afrikas globales Gewicht wächst rasant, nicht nur demographisch, auch geopolitisch, wirtschaftlich, sicherheitspolitisch, klimapolitisch, kulturell. Ob der Kontinent ein neuer und klimaneutraler Wachstumspol der Weltwirtschaft wird – und das Potenzial dazu hat er! – oder Krisenquelle neuer Dimension, wird Auswirkungen haben, vor allem auch für Europa. Welche Allianzen afrikanische Regierungen eingehen, dürfte auch im neuen Systemkonflikt zwischen liberalen Demokratien und autokratischen Regimes eine Rolle spielen. So oder so – Afrikawissenschaft tut mehr denn je not.
Die Fragestellungen dieses Symposiums sind gut gesetzt: von den deutsch-afrikanischen Wirtschaftsbeziehungen über die Transformation der afrikanischen Landwirtschaft und die Entwicklungen in der Sahelzone bis hin zur Rolle der afrikanischen Diaspora bei der Entwicklung ihrer Heimatländer. Und auch die große Überschrift geht in die richtige Richtung: „Afrikawissenschaft trifft Praxis“. Franz Ansprenger hat es immer als eine seiner wichtigsten Aufgaben gesehen, seine Erkenntnisse unters Volk zu bringen. Ein „Wagnis“ – so nannte er etwa den Versuch, in seiner „Geschichte Afrikas“ 5.000 Jahre auf 128 Seiten zusammenzufassen. Und unter dieser Rubrik – „ein Wagnis“ – verbuche ich selbst auch den Umstand, dass er im Vorwort zur dritten Auflage 2007 den damals amtierenden Bundespräsidenten und seine Initiative „Partnerschaft mit Afrika“ nennt.
Tatsächlich freue ich mich, dass Interesse und Aufmerksamkeit für Afrika weltweit zugenommen haben; und das auch in Deutschland. Bei uns läuft Afrikapolitik aber – direkt oder indirekt – vor allem unter „Fluchtursachenbekämpfung“. Es wird noch viel zu wenig gesehen, dass Afrika nach Demografie, Geografie und ich sage bewusst auch: Geschichte für Europa und damit auch für Deutschland geborener Partner zur Lösung großer gemeinsamer Herausforderungen ist. Der Klimawandel, die unterschiedlichen Demographien, nun die Pandemie: Ich sehe Afrika und Europa – so oder so – in einer Art Schicksalsgemeinschaft, die eine neue Philosophie der Zusammenarbeit zwischen den Nachbarkontinenten verlangt. Ich will kurz drei Leitgedanken dazu skizzieren:
Erstens und allem voran geht es um eine grundsätzlich neue politische Haltung – eine Haltung, die gegenüber dem Nachbarkontinent jeglichen Paternalismus ablegt. Eine Haltung, die die Afrikanische Union und ihre 55 Mitgliedstaaten als eigenständige politische Subjekte erkennt; mit eigener Verantwortung, eigenem Handlungswillen und eigenen Handlungsoptionen. Und bei allen Schwierigkeiten, die es in der praktischen Zusammenarbeit mit afrikanischen Partnern gibt: Wir sollten nicht übersehen, dass die institutionellen Grundlagen der Afrikanischen Union, ihrer Mitgliedstaaten, der „Agenda 2063“ und der „African Union Development Agency-NEPAD“ (AUDA-NEPAD) durch Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Marktwirtschaft gekennzeichnet sind. Der Wille der afrikanischen Politik, sich aus ökonomischer Armut herauszuarbeiten, ist durch die Schaffung der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA) dokumentiert. Auch das noch junge „Africa Centre for Disease Control“ der AU hat in der Pandemie Handlungswillen und Handlungsfähigkeit bewiesen. Eine neue Generation von afrikanischen Unternehmern, Forscherinnen, „public intellectuals“ und Think Tanks wartet längst nicht mehr auf Lösungen aus dem Westen, sondern geht eigene Wege. Wenn wir in ihnen Partner finden wollen, tun wir gut daran, Selbst-Überschätzung abzulegen. Auf die Wissenschaft gewendet bedeutet diese Haltung: Deutungshoheit ablegen, die eigenen Begriffe hinterfragen – so wie es schon Franz Ansprenger tat, wenn er beispielsweise über Demokratie in Afrika schrieb. Dass die nächste Tagung der Vereinigung für Afrikawissenschaften in Deutschland im Jahr 2022 unter der Überschrift „Afrika-Europa: Reziproke Perspektiven“ steht, finde ich gut getroffen. Ohne Wechselseitigkeit kann ehrliche Partnerschaft nicht gedeihen.
Eine neue Philosophie der Zusammenarbeit verlangt zweitens noch viel mehr Neugier und Wissen über die Dynamik der Veränderungen in Afrika (in Fortschritten wie Rückschritten). Dafür muss personell und politisch investiert werden, in Strukturen für einen Austausch mit afrikanischen Institutionen, in mehr Afrikaexpertise in Politik und Gesellschaft. Ich freue mich, dass zum Beispiel die Partnerschaften zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda oder Nordrhein-Westfalen und Ghana weiter gedeihen. Aber auch hier würde ich mir wünschen, dass der Austausch zwischen Parlamentsabgeordneten der betreffenden Länder noch intensiviert und wissenschaftlich begleitet wird (Entsprechendes wünschte ich mir auch für die Abgeordneten des Deutschen Bundestags). Das kann wechselseitig direkt mehr politisches Verständnis – und gegebenenfalls auch mehr begründete politische Geduld – bewirken. Grundsätzlich wünsche ich mir jedenfalls mehr afrikanische Stimmen in hiesigen afrikapolitischen Debatten. Seit kurzem gibt es einen afrikanischen Think Tank in Berlin, das „Africa Policy Research Institute“ (APRI) – ich begrüße das und bin neugierig, von ihnen zu hören. Ich bedaure, dass das von der Bundesregierung eigentlich geplante „Institut für angewandte Afrikaforschung“ noch immer nicht seine Arbeit aufgenommen hat. Über Themen wie die Transformation der Landwirtschaft oder die Industrialisierung Afrikas im Zusammenhang mit der Implementierung der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone müssen Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft gemeinsam nachdenken und Strategien entwickeln. Und klar ist auch: Der Aufenthalt und die Arbeit afrikanischer Forschender in Deutschland dürfen nicht durch langwierige Visa-Verfahren behindert werden.
Für eine neue Philosophie der Zusammenarbeit sollte es drittens gelingen, die offensichtlichen Asymmetrien zwischen unseren Kontinenten nicht durch das Beschwören von „Augenhöhe“ zu verdecken, sondern klar zu benennen und produktiv für beide Seiten Lösungen zu finden. Ich nenne drei strategische Fragen: 1.) Teile der deutschen Wirtschaft leiden schon jetzt an einem Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften – die afrikanische Jugend braucht Perspektiven und Jobs! 2.) In Deutschland verfügt eine alternde Gesellschaft über hohe Sparvermögen – in Afrika wartet eine junge Gesellschaft auf realwirtschaftliche Investitionen. Es wäre an der Zeit, dass die deutsche Finanzwirtschaft und die Bundesregierung zum Beispiel im Rahmen des Compact with Africa Ideen für Afrika-Infrastrukturbonds entwickelt. 3.) In Deutschland zeichnet sich eine enorme Nachfrage nach klimaneutral erzeugtem Wasserstoff ab – in Afrika scheinen die Bedingungen dafür ideal zu sein. Aus solchen Asymmetrien „win-win-Lösungen“ zu machen, ist sicher nicht einfach und verlangt allemal politischen Mut. Doch diesen Mut zu stärken, kann nicht zuletzt auch die Wissenschaft durch Vordenken leisten.
Langfristig geht es also um eine neue strategische deutsche – und das muss auch immer heißen: europäisch eingebettete! – Afrikapolitik. Eine Politik, die unseren Nachbarkontinent als politischen Partner mit eigenen Prioritäten und Potenzialen ernst nimmt.
Kurzfristig aber ist tätige Solidarität das Gebot der Stunde. Nicht einmal 2 Prozent der Bevölkerung in Afrika sind vollständig gegen das Coronavirus geimpft. Der Kontinent braucht dringend Impfdosen und darüber hinaus Unterstützung beim Aufbau einer eigenen Impfstoffproduktion. Die Bundesregierung lehnt bisher eine Aussetzung von Patenten während der Corona-Pandemie ab, den so genannten TRIPS-Waiver. Stattdessen setzt sie auf die Unterstützung von freiwilligem Know-How-Transfer. BionTech hat inzwischen Vereinbarungen mit Südafrika und zuletzt mit Senegal und Ruanda geschlossen. Das ist zu begrüßen. Diese Strategie wird sich aber daran messen lassen müssen, wie schnell sie die erforderlichen Impfdosen tatsächlich in Afrika verfügbar macht.
Afrika braucht jetzt aber nicht allein Impfstoff, sondern auch Zugang zu zusätzlichen Finanzmitteln, um den ökonomischen Einbruch durch Covid-19 zu überwinden. Heute vor zwei Wochen wurde die größte Zuteilung von Sonderziehungsrechten in der Geschichte des IWF wirksam, rund 650 Milliarden US-Dollar. Die Bundesregierung hat diese Entscheidung unterstützt. Sie sollte es jetzt auch möglich machen, dass sich Deutschland am „on-lending“ seiner vergrößerten Sonderziehungsrechte an afrikanische Staaten beteiligen kann.
Meine Damen und Herren,
Franz Ansprenger hat vielen die Augen geöffnet für unseren Nachbarkontinent. Sie alle belegen, wie erfolgreich er dabei war, nicht in Afrika zu missionieren, sondern für Afrika zu interessieren. Für viele Menschen ist die Gleichzeitigkeit von Not und Aufbruch, von Beharrung und Innovation in Afrika verwirrend. Gerade deshalb ist es aber so wichtig, dass Sie alle in Wissenschaft und Praxis mithelfen, die komplexen afrikanische Realitäten sichtbarer und verständlicher zu machen, dass Sie über die innerafrikanischen Debatten informieren, von denen wir hierzulande viel zu wenig mitbekommen.
Herzlichen Dank und ein gutes Symposium!