Welt im Umbruch, Afrika im Aufbruch – passt unsere Entwicklungspolitik noch ins 21. Jahrhundert?

3. Zukunftsforum des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Globalisierung gerecht gestalten
Berlin, 15. Februar 2017



I.

Wenn man eine Rede zusagt, dann muss man sich meist auf einen Titel festlegen, noch bevor man den Redetext selbst geschrieben hat. So war es auch hier. „Welt im Umbruch, Afrika im Aufbruch – passt unsere Entwicklungspolitik noch ins 21. Jahrhundert?“ hatte ich meine Rede in einem leichtsinnigen Anflug von Ehrgeiz betitelt. Die Welt, Afrika, das 21. Jahrhundert, die Entwicklungspolitik – da habe ich mir einiges auf den Teller geladen, noch dazu vor einem Publikum, in dem viele Leute sitzen, die viel mehr Ahnung von Entwicklungspolitik haben als ich. Ich möchte es trotzdem wagen, denn ich glaube, dass sich so manche große Frage unserer Zeit gerade in der Entwicklungspolitik und in unserem Verhältnis zu Afrika widerspiegelt. Welche Schlüsse müssen wir aus der gegenwärtigen Weltunordnung für unsere Entwicklungspolitik und unser Verhältnis zu Afrika ziehen? Erlauben Sie mir, heute diese Frage mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit zu stellen. Vielleicht tut es der Entwicklungspolitik gut, sich von den rauen Winden der Gegenwart kräftig durchschütteln zu lassen. Entwicklung braucht Aufbruch. Wo könnte sich es heute lohnen, aufzubrechen, und zwar nicht nur im Sinne von „sich auf den Weg machen“, sondern auch im Sinne des Aufbrechens von bestehenden Strukturen und Denkmustern? Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich die Entwicklungspolitik, übrigens auch in der Zivilgesellschaft, mit dem Hinweis auf ihre guten Intentionen vor allzu grundlegender Kritik schützen möchte – die Angst ist groß, man könnte mit einer kritischen Diskussion das Kind mit dem Bade ausschütten und gleich die Daseinsberechtigung von Entwicklungspolitik an sich beschädigen. Ich glaube, dass dieser Verteidigungsreflex nicht nötig ist. Im Gegenteil: Wer sich jetzt mutig selbst in Frage zu stellen wagt, der findet vielleicht Antworten, deren Relevanz weit über die Zukunft Afrikas hinausreichen, und stellt damit auch die Entwicklungspolitik auf eine neue Legitimationsgrundlage.

Ein Hinweis vorab: Ich weiß natürlich, dass nicht alle Afrikapolitik gleich Entwicklungspolitik ist, und dass Entwicklungspolitik mehr im Blick hat als nur den afrikanischen Kontinent. Ich erlaube mir in dieser Rede dennoch einige Unschärfen zwischen diesen Begriffen, erstens, um das Thema handhabbar zu halten und zweitens, weil der afrikanische Kontinent sicherlich im Zentrum der deutschen (und europäischen) Entwicklungspolitik stehen sollte.

II.

Meine Damen und Herren,

am Abend des 20. Januars saß ich mit einigen Freunden und Kolleginnen beim Abendessen, etwa die Hälfte der Gäste waren Afrikaner. Viele hatten gerade die Inaugurationsrede von Präsident Trump gesehen. Die Stimmung am Tisch war von Besorgnis bis Entsetzen geprägt, vor allem aber machte sich eine gewisse Traurigkeit breit. Traurigkeit darüber, dass sich dieses große, stolze Land, welches seine Stärke vor allem durch seine Offenheit gewonnen hatte, nun plötzlich so klein macht. Traurigkeit auch darüber, dass die Dämme des unverhohlenen nationalen Egoismus – America first! – nun gebrochen sind. Auch der Brexit und das Erstarken der neuen Rechten in ganz Europa sind Zeichen dieses Dammbruchs: plötzlich scheint es mehrheitsfähig, internationale Zusammenarbeit zu diskreditieren, die Legitimität multilateraler Institutionen anzugreifen und Nationalismus und aggressiven Protektionismus als Rezept gegen soziale Ungerechtigkeit anzubieten. Dass ausgerechnet jetzt die nationalen Vereinfacher Oberhand gewinnen, wo wir doch nichts dringender bräuchten als globale Antworten auf komplexe Fragen, das ist eine vielleicht nachvollziehbare Gegenreaktion vieler Menschen auf die Schattenseiten der Globalisierung. Absurd – und ja, gefährlich! – ist es trotzdem. Denn echte Lösungen sind davon ja nicht zu erwarten.

Wie sehr dieses Narrativ des „Egoismus als Selbstzweck“ auch an der Legitimität von Entwicklungspolitik nagt, zeigt ein Beispiel aus Großbritannien. Noch im Januar 2016 erklärten zwei Drittel der Briten in einer Umfrage ihre Zustimmung zur Notwendigkeit von Entwicklungshilfe und dem Ziel, 0,7% des Bruttoinlandsproduktes dafür auszugeben. Nur wenige Monate später, nach dem Brexit und einer Kampagne der Boulevardzeitung Daily Mail, zeigte eine weitere Umfrage eine Zweidrittelmehrheit für eine Abkehr vom 0,7%-Ziel. Die Geringschätzung internationaler Zusammenarbeit und der Rückzug ins Nationale bedrohen also auch den bisherigen Konsens, dass uns das Schicksal armer Länder etwas angeht. Wird Trumpismus in der Welt Afrika erneut zum vergessenen Kontinent machen?

Die Afrikaner, die bei dem Abendessen im Januar dabei waren, hatten übrigens ein feines Ohr für rassistische Untertöne in dieser Rhetorik. „Make America Great Again“, meint das vor allem: das weiße Amerika wieder groß machen? Die Brexit-Kampagne und die Präsidentschaftskampagne von Marine Le Pen pumpen sich nicht zuletzt auch mit dem verletzten Stolz ehemaliger Imperien auf, die nicht damit zurecht kommen, dass das Zeitalter der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Dominanz der Weißen vorbei ist. Als ich vor zwei Wochen in Leipzig eine Rede über die Globalisierung hielt, da wurde ich von einer Dame aus dem Publikum gefragt, ob man denn – so ihre Worte – angesichts der Unfähigkeit der Afrikaner, sich selbst zu regieren, Afrika nicht zur deutschen Kolonie machen könne. Die Fragestellerin, das sei zur Ehrenrettung Leipzigs gesagt, wurde ausgebuht, aber der Rassismus, der in ihrer Frage zum Vorschein kam, sollte uns zu Denken geben – da sage ich später noch etwas dazu.

Meine Damen und Herren, der aufkeimende Nationalismus in den westlichen Demokratien ist auch deshalb so absurd, weil er genau jenen Prozess beschleunigt, den er beklagt: nämlich die abnehmende Strahlkraft des westlichen Modells. Der Westen verliert an Glaubwürdigkeit, gerade weil sein Politik- und Wirtschaftsmodell keine langfristigen Lösungen, sondern nur kurzfristige Placebos zu produzieren scheint. Der Westen hat an Glaubwürdigkeit verloren mit seinen außenpolitischen Sünden der vergangenen 15 Jahre und mit seinen Schwierigkeiten, zum Beispiel den Finanzkapitalismus zu bändigen. Zur andauernden Euro-Krise beobachte ich eine neue Süffisanz, mit der afrikanische Eliten auf Europa blicken: seht her, die kriegen es immer noch nicht hin. Und die Wahl von Donald Trump könnte jene bekräftigen, die daran zweifeln, dass es tatsächlich die Demokratie ist, welche die fähigsten Staatenlenker hervorbringt. Der südafrikanische Satiriker Trevor Noah, der in den USA die „Daily Show“ moderiert (dem Pendant der deutschen „heute-show“) nannte in einem bissigen Beitrag während des Wahlkampfes Donald Trump den „perfekten afrikanischen Präsidenten“ und stellte größenwahnsinnige Zitate von Idi Amin, Robert Mugabe und Muammar al-Gaddafi neben einige fast wortgleiche Äußerungen von Trump. „Macht nicht den selben Fehler wie wir, fallt auf so jemanden nicht rein“, war seine implizite Mahnung. Wer ist hier wessen Vorbild?

Während der Westen an Vertrauenskapital einbüßte, hat China seine wirtschaftliche Aufholjagd zu massiven Investitionen auch in Afrika genutzt, die nicht nur Straßen und Eisenbahnen, sondern auch Anschauung für ein alternatives Politikmodell auf den Kontinent bringt. Inspiriert von China, testet beispielsweise Äthiopien gerade die Grenzen der Vereinbarkeit von wirtschaftlicher Freiheit mit politischer Repression. Mir wurde dieser Inspirations-Zusammenhang ganz plastisch vor Augen geführt, als ich vor einiger Zeit das Unabhängigkeitsmuseum Namibias in Windhoek besucht habe. Es wurde von Nordkorea gebaut und ist in entsprechend, sagen wir mal: „origineller“ Ästhetik ausgestattet. Das mag ich nicht als polemisches Beispiel für Süd-Süd-Kooperation verstanden wissen, sondern als Hinweis darauf, dass Europa und der Westen weder bei der Interpretation der Vergangenheit noch bei der Definition der Zukunft für den afrikanischen Kontinent noch Deutungshoheit genießen. Wie reagiert eigentlich unsere Entwicklungspolitik darauf?

Ich möchte nicht missverstanden werden: Die Geschichte hat ihr Urteil noch längst nicht gesprochen und die Autokraten der Welt sollten sich nicht zu früh die Hände reiben. Ich glaube weiterhin daran, dass Rechtsstaat, Demokratie und eine sozial-ökologische Marktwirtschaft die besten Systeme sind, um Wohlstand und Frieden für alle zu schaffen. Ich habe großes Vertrauen in die Widerstandskraft der demokratischen Institutionen und auch der Bürger gegen das gegenwärtige Zündeln an den Grundwerten der westlichen Gesellschaftsordnung. Und dass junge Menschen weltweit von einem Leben in Europa träumen, zeigt, dass Europa immer noch etwas zu sagen hat. Aber: Klingen unsere entwicklungspolitischen Belehrungen vor der aktuellen Kulisse nicht hohl? Stehen unsere Ratschläge nicht auf wackligen Füßen? Sollten wir nicht eine Politik gegenüber Afrika definieren, die sich auch in den Kontext unserer eigenen Unzulänglichkeiten stellt? Wie das aussehen könnte, darauf komme ich gleich zurück, aber zunächst möchte ich in diesem knappen Versuch einer Gegenwartsanalyse noch einen Blick auf Afrika selbst werfen.

III.

Afrika gibt es nicht, zumindest nicht als monolithischen Block – das ist fast schon eine Plattitüde in jeder Afrikarede, aber man muss es dennoch immer wieder sagen. Die aggregierten Zahlen und Informationen, die eine Gesamtaussage über den Kontinent zu treffen versuchen, geben uns mit großer Zuverlässigkeit einen völlig falschen Eindruck. Nach den hohen Wachstumsraten im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends brachen die Zahlen zuletzt ein, aber wer genauer hinschaut, der sieht, dass vor allem die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der beiden Giganten Nigeria und Südafrika daran schuld sind, die etwa die Hälfte des Bruttosozialprodukts von Sub-Sahara Afrika ausmachen. In anderen Staaten wie Tansania, Äthiopien oder der Elfenbeinküste gibt es weiterhin starkes Wachstum. Jetzt wird der Unterschied zwischen jenen deutlich, die sich auf hohen Rohstoffpreisen und Ölexporten ausgeruht haben, und jenen, die echte Anstrengungen unternommen haben, um ihre Ökonomien zu diversifizieren. Auch politisch ist das Bild durchwachsen: Es reicht von erfolgreichen Regierungswechseln wie in Senegal, Nigeria oder Ghana über heikle Hängepartien wie in der Demokratischen Republik Kongo bis hin zu failed states wie Somalia. Die sicherheitspolitische Eigenverantwortung der Afrikaner hat gerade wunderbar funktioniert mit der friedlichen ECOWAS-Intervention in Gambia, erst letztes Jahr ist ein ähnlicher Gedanke in Burundi nie umgesetzt worden. Afrika bleibt ein Riese der Widersprüche und der gegenläufigen Entwicklungen, wie es bei einem so großen Kontinent auch gar nicht anders erwartet werden kann. Vorbei sind jedenfalls die Zeiten, in denen ein großer, grober Blick auf Afrika genügte, um unseren Nachbarn zu verstehen. Dafür ist er viel zu sehr in Bewegung.

Das wissen die Afrikaner auch selbst. Ich nehme immer stärker einen Prozess der politischen und kulturellen Selbstbehauptung wahr. Das Auseinanderdriften der restlichen Welt zwingt die Afrikaner dazu, noch stärker ihre eigene Position zu definieren. Und immer mehr höre ich da: „Lieber Westen, wir betteln nicht mehr um eure Almosen. Wir werden unseren Weg gehen. Unterstützt uns gerne – aber die Richtung bestimmen wir!“. Ich hoffe auf eine afrikanische Renaissance, die nicht aggressiv ist, sondern partnerschaftlich, die sich nicht durch das definiert, was sie bekämpft, sondern durch das, wofür sie steht.

IV.

Meine Damen und Herren,

soviel zu meiner kurzen Skizze zur Welt und zu Afrika. Nicht alles davon ist neu, aber doch leben wir in einer Zeit des Umbruchs, die vieles in Frage stellt. Welche Konsequenzen müssen wir daraus ziehen?

Ganz oben steht für mich da: Entwicklungspolitik sollte sich noch stärker als bisher als Interdependenzpolitik verstehen. Sie sollte den schwierigen Bogen schlagen zwischen unserer nationalen Politik und ihren Auswirkungen auf den Globus, und zwischen dem Geschehen anderswo und seinen Einflüssen auf unsere Zukunft. Beide Fließrichtungen sind wichtig.

Dass unsere Zukunft ganz entschieden von einer guten Zukunft Afrikas abhängt, das kann man nicht oft genug betonen. Afrikas Erfolg birgt gerade für den direkten Nachbarn Europa die größten Chancen, Afrikas Scheitern die größten Risiken. So oder so: Afrikas Zukunft ist Europas Zukunft.

Ich glaube, die meisten Menschen spüren, dass die extremen Wohlstandsunterschiede zwischen den Nationen langfristig nicht tragbar sind in einer Welt, die durch moderne Kommunikation und schnellen Transport immer enger zusammenrückt. Die Menschen ahnen, dass die Sehnsucht nach einem menschenwürdigen, selbstbestimmten Leben sich auch durch die dicksten Mauern nicht wird unterdrücken lassen. Sie ahnen, dass das eigene Haus nicht sicher ist, wenn das Haus des Nachbarn brennt. Diese Ahnung beruht auf gesundem Eigeninteresse, aber auch auf unserer urmenschlichen Fähigkeit zu Empathie und unserem tiefen Instinkt für Fairness, der mindestens genauso stark ist wie unser Egoismus. Aber dieser Instinkt muss trainiert und genährt werden, in den Familien, in den Schulen, in den Kirchen, Sportvereinen und sozialen Netzwerken. Sie, lieber Herr Minister Müller, mahnen uns immer wieder mit starker Stimme, unseren Instinkt der Fairness nicht verkümmern zu lassen, und dafür können wir Ihnen dankbar sein.

Die Interdependenz allen Geschehens auf diesem Planeten verlangt Empathie und Fairness, sie verlangt aber auch die Einsicht, wie sehr unsere nationalen Politiken und die globalen Rahmenbedingungen die Chancen von ärmeren Ländern beeinflussen. Eine Entwicklungspolitik, die sich als Gestalter von Interdependenz versteht, muss an diesen Rahmenbedingungen aktiv und lautstark mitarbeiten. Der Marshall-Plan, den Minister Müller vorgelegt hat, gibt dazu konkrete Anhaltspunkte: wir brauchen internationale Steuergesetze und Regeln, die den illegalen und unmoralischen Kapitalabfluss aus Afrika stoppen. Wir brauchen Handelsverträge, deren Priorität die Schaffung von Arbeitsplätzen in Afrika ist, nicht der Schutz der europäischen Agrarindustrie. Wir brauchen internationale Finanzmärkte, die das hohe Sparaufkommen der alternden Gesellschaften in Europa so sicher wie möglich mit dem hohen Investitionsbedarf in den jungen Gesellschaften Afrikas verbinden. Wir brauchen ein Klimaregime, das die globale Erwärmung ernsthaft bremst und denjenigen Ländern bei der Anpassung hilft, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, aber am meisten darunter leiden. Bei all diesen Themen wünsche ich mir mehr politische Energie und Präsenz der Entwicklungspolitiker in Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft.

Mehr politische Energie brauchen wir auch bei jenen scheinbar innenpolitischen Fragen, die Auswirkungen jenseits unserer Landesgrenzen haben. Das ist nicht zuletzt eine Sache der Glaubwürdigkeit, die ja Voraussetzung ist für gegenseitiges Vertrauen. Hier sind wir beim Stichwort „abnehmende Strahlkraft“. Ein Beispiel: Im letzten Jahr war ich auf der Jahrestagung der Afrikanischen Entwicklungsbank in Sambia und habe dort erfahren, dass Deutschland als Anteilseigner der Bank seine Zustimmung zur Finanzierung eines neuen Kohlekraftwerks in Südafrika verweigert hat. Das war klimapolitisch sicher die richtige Entscheidung. Aber mir sagten die afrikanischen Präsidentenkollegen: „Was ist eigentlich mit euren Kohlekraftwerken in Deutschland? Ist es nicht so, dass ihr euch vor deren Abschaltung fürchtet, wegen den Arbeitsplätzen?“ Dieses Beispiel zeigt: Wir können nicht in Afrika Wasser predigen und bei uns in Deutschland und Europa Wein trinken. Hätte sich das BMZ nicht zeitgleich mit seiner Ablehnung des südafrikanischen Kraftwerks auch in die deutsche Energiedebatte einbringen können? So könnte deutlich gemacht werden, dass der Kampf gegen CO2-Emmissionen echte entwicklungspolitische Relevanz hat, und zwar nicht nur in Südafrika, sondern auch bei uns.

Ich gebe zu: Die Spannung zwischen der nationalen und der internationalen Ebene zu gestalten, das gehört zu den schwierigsten Aufgaben, die die Politik in diesem Jahrhundert zu bewältigen hat. Unsere Demokratie ist begrenzt in Raum und Zeit – ihre Entscheidungen werden nur durch die derzeit lebenden deutschen Staatsbürger legitimiert, nicht durch zukünftige Generationen oder Bewohner anderer Erdteile. Die Demokratie muss im Zeitalter der Interdependenz aber Lösungen produzieren, die genau jene Begrenzungen überwinden – Lösungen also, die auch gerecht gegenüber unseren Urenkeln oder eben den Afrikanern sind. Das ist ein Dilemma, das wir nie werden ganz auflösen können. Aber ich glaube, dass die Entwicklungspolitik eine ganz besondere Rolle hat, Lösungsbeiträge zu entwickeln, die mit dieser Spannung produktiv umgehen.

Und als erster Schritt gehört da die Erkenntnis dazu, dass gemessen an den globalen Herausforderungen Deutschland selbst Entwicklungsland ist. Wir leben in einer Zeit, in der wir spüren, dass viele der alten Antworten nicht mehr funktionieren, wir aber auch noch nicht alle neuen Antworten haben. Das sollte uns nicht schrecken. Wir sind selbst in einem Transformationsprozess, so wie er in den Nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen skizziert ist, die 2015 von allen Staaten der Welt verabschiedet wurden. Wenn wir die globale Entwicklung als gemeinsamen Suchprozess aller Länder verstehen, wenn wir die Zweifel an unserem System nicht als Schwäche, sondern als Stärke begreifen, weil sie Erneuerung anstoßen – dann können wir auch in unserem Verhältnis zu Afrika neue Glaubwürdigkeit gewinnen. Dann treten wir nicht als Lehrer auf, sondern als gemeinsam Lernende. Wenn wir den ökologisch-sozialen Wandel bei uns in Europa in einen globalen Kontext des Kampfes gegen die Armut und gegen den Klimawandel stellen, dann schaffen wir die Voraussetzung für echte, vertrauensvolle Zusammenarbeit. Dann verwandelt sich der Entwicklungspolitiker vom Wohltäter, dem allzu leicht Heuchelei nachgewiesen werden kann, in einen Gestalter gemeinsamer guter Zukunft.

V.

Es ist nicht leicht, diese Zusammenhänge auch zu vermitteln. Der Öffentlichkeit muss eine Entwicklungspolitik kommuniziert werden, die sich in den Kontext von Interdependenz und nicht in den Kontext von Hilfe stellt. Hilfe hat den Geschmack von Paternalismus. Der entwicklungspolitische Diskurs über Afrika hat hier eine besondere Verantwortung, und zwar gerade in einer Zeit, in der beiläufiger Rassismus als vermeintlicher Widerstand gegen die politische Korrektheit wieder hoffähig wird. Wer sich mit der Sprache des zivilisatorischen Eifers auseinandersetzt, mit dem unsere kolonialen Vorfahren ihre Unterdrückungskampagnen in Afrika rechtfertigten, der merkt schnell, dass das nicht weit entfernt ist von so manchem gutgemeinten Sprechen über Afrika heute. Afrika vor allem darüber zu definieren, was ihm im Vergleich zu Europa fehlt, haben wir das wirklich überwunden? Afrikaner als Objekte, die vor allem unserer Hilfe bedürfen, sind wir an diesem Bild nicht heute noch gefährlich nah dran? Ich habe in meiner Zeit als Bundespräsident eine Initiative gestartet, die hieß „Partnerschaft mit Afrika“. Bis heute bekomme ich Presseanfragen hierzu, die das als „Partnerschaft für Afrika“ betiteln. Die Definition von oben und unten, die Unterscheidung zwischen Handelnden und Behandelten, sie schlummern offenbar tief in unserem europäischen Bewusstsein. Sie wissen, lieber Herr Müller, dass ich aus diesem Grund mit dem Begriff des „Marshall-Plans“ etwas fremdle, denn auch er stammt aus einer Zeit des Oben und Unten, des Sieger und Besiegten. Ich weiß, dass der Titel gewählt wurde aus dem berechtigten Anliegen heraus, Aufmerksamkeit für die Dimension der Herausforderung zu schaffen. Aber müssen wir nicht dennoch immer wieder sensibel sein? Mir stellt sich diese Frage auch beim Migrationsthema, das ja in Verbindung mit den wachsenden Bevölkerungszahlen in Afrika eine offensichtliche Begründung dafür ist, unsere Zusammenarbeit mit Afrika ernst zu nehmen. Da steht uns die größte Jugendbevölkerung in der Geschichte der Menschheit bevor, direkt auf unserem Nachbarkontinent, das kann uns nicht egal sein, das sage ich auch oft, und doch zucke ich manchmal zusammen, wenn ich so klinge wie „Gebt Geld für die EZ, sonst kommen die Afrikaner“.

Schaffen wir es, ein Afrikabild zu zeichnen, das sich weder der Emotion des Mitleids, noch der Emotion der Angst bedient?

Es geht hier nicht nur um Worte. Es gibt eine Wechselwirkung zwischen Sprache und konkreter Politik. Der Diskurs über Entwicklungspolitik prägt unser Bild von Afrika. Und unser Bild von Afrika prägt unsere Entwicklungspolitik. Sind wir uns sicher, dass unsere Initiativen, ob von Staat oder Zivilgesellschaft, an den Bedürfnissen Afrikas ausgerichtet sind, und nicht in erster Linie an unseren eigenen?

Es geht auch nicht um politische Korrektheit. Es geht um die Wirksamkeit von Politik. Afrikas Transformation wird nur mit Afrikas Akteuren und den von ihnen definierten Prioritäten gelingen. Da muss sich vielleicht auch in der Entwicklungscommunity so mancher von seinen Allmachtsfantasien verabschieden. Afrikas Transformation wird nur aus sich selbst heraus kommen, nicht aus unserem Sendungsbewusstsein. Und übrigens auch nicht aus unserem Abwehrreflex. Wenn ich mir so manche Diskussionen und Instrumente der „Fluchtursachenbekämpfung“ in Deutschland und der EU ansehe, dann beschleicht mich das Gefühl, dass es nur vordergründig um die Interessen Afrikas geht. Kann es sein, dass derzeit die Entwicklungspolitik zur Migrationssteuerung instrumentalisiert wird? Kann es sein, dass wir dabei sind, die Maßstäbe für den Erfolg unserer Politik zu verschieben? Wenn nicht mehr das entscheidend ist, was Afrika nachhaltig voranbringt, sondern nur noch das, was die Zahl der bei uns ankommenden Afrikaner reduziert, dann hat das nur noch wenig mit wirksamer Entwicklungspolitik zu tun.

Verstehen Sie mich nicht falsch: natürlich müssen wir Migration steuern und begrenzen, ich habe schon als Bundespräsident für ein Einwanderungsgesetz geworben. Aber wenn wir ein echtes langfristiges Interesse daran haben, dass Afrika auf eigenen Füßen steht, dann dürfen wir den Kontinent eben jetzt gerade nicht wieder nur als Verlängerung unserer eigenen kurzfristigen Interessen begreifen, wie es in der Flüchtlingsdebatte derzeit teilweise geschieht. Und die Widersprüche sind ja auch offensichtlich: Wollen wir nun eigentlich verstärkt mit jenen zusammenarbeiten, die einen besonderen Reformwillen zeigen (wie es der Marshall-Plan des Ministers vorschlägt), oder aber mit jenen, die besonders gut die Flüchtlingsströme gen Norden eindämmen (wie es der EU-Treuhandfonds möchte)? Wenn es dazu käme, dass wir Reformpartnerschaften mit den guten Regierungen eingehen und Migrationspartnerschaften mit den schlechten, dann sollten wir nochmal über die strategische Klugheit dieser vermeintlichen Priorisierung nachdenken.

VI.

Meine Damen und Herren,

ich halte die Konzentration der staatlichen Zusammenarbeit auf jene Länder, welche einen klaren politischen Gestaltungswillen zeigen, für überfällig. Zu lange haben wir so getan, als hätte Entwicklungspolitik nichts mit Politik zu tun. Als wäre Armutsreduzierung eine technische Frage oder eine finanzielle. Aber: It’s politics, stupid!

Wenn wir unser Verhältnis zu Afrika nur mit der Brille der technischen und finanziellen Entwicklungszusammenarbeit betrachten, dann entpolitisieren wir es; dann verzwergen wir einen Kontinent, der schon heute mehr als doppelt so viele Bewohner hat wie Europa. Wir brauchen aber ein politisches Verhältnis zu Afrika im besten Wortsinne: Politik ist dazu da, Zusammenleben zu organisieren. Wir brauchen eine Afrikapolitik, die unser gemeinsames Zusammenleben auf diesem Planeten organisiert.

So wird dann auch selbstverständlich, dass Fortschritt und arbeitsplatzschaffendes Wachstum in Afrika Ergebnis guter Regierungsführung auf dem Kontinent sind und in allererster Linie in der Verantwortung der Afrikaner selbst liegen. Das sollten wir noch viel konsequenter als bisher einfordern und unsere Zusammenarbeit dahingehend konzentrieren und priorisieren. In Afrika muss vieles angepackt werden, aber nicht alles von der deutschen Entwicklungspolitik. Ich hoffe, dass die Priorisierung, wie sie der Marshall-Plan vorschlägt, auch trotz der Beharrungskräfte innerhalb unseres eigenen EZ-Systems gelingt. Das kann im Einzelnen schmerzhaft sein, ist im Großen aber notwendig.

Ich hoffe auch, dass dieser Prozess noch stärker dazu führt, afrikanische Initiativen und Ideen ernst zu nehmen und zu unterstützen. Die zunehmende Ausdifferenzierung der politischen und ökonomischen Landschaft auf dem afrikanischen Kontinent zwingt auch Deutschland zu einer stärkeren strategischen Differenzierung. Und diese kann nur auf Basis einer besseren Kenntnis afrikanischer Debatten und Impulse funktionieren. Ich wundere mich manchmal ein bisschen, wie wenig afrikanische Intellektuelle, Ökonomen, Aktivisten und vor allem politisch engagierte junge Afrikaner bei uns in Deutschland wahrgenommen werden. Die gibt es, und die haben was zu sagen! Stattdessen beobachte ich oft, wie so mancher kluge Afrikaexperte aus Europa zu Rate gezogen wird, und nun bin ich zwar selbst auch ein Europäer mit Professorentitel, der allerlei zu Afrika sagt, aber ein Afrikaner bin ich nicht und deshalb ist auch mein Blick verengt und deshalb können auch meine Ideen nur ein Teil der Gleichung sein. Herr Planungsminister – dear Abdoulaye, lieber Herr Diallo, danke, dass Sie heute da sind und unseren Blick weiten; und lieber Herr Minister, bitte laden Sie noch ganz viele Afrikaner ein, zu öffentlichen Veranstaltungen und internen Besprechungen. Und sprechen wir auch nicht nur mit unseren sogenannten „Partnern“, die schon viel zu gut wissen, was wir gerne hören wollen. Vielleicht täte bisweilen mehr „disruptiver Dialog“ gut mit Wirtschaftsleuten, mit jungen Künstlern, also mit Menschen, die das EZ-System nicht verstehen und auch in keinem direkten Abhängigkeitsverhältnis dazu sind und deshalb einen frischen Blick mitbringen.

Und auch hier gilt wieder: es geht nicht darum, irgendwelche abstrakten Ideale zu berücksichtigen und einen Haken hinter die Evaluierungskriterien „Partizipation“ und „Ownership“ zu setzen. Es geht darum, dass wir in die falsche Richtung marschieren, wenn nicht die richtigen Leute den Kompass halten.

Übrigens müssten wir noch viel stärker darauf drängen, dass insbesondere der afrikanischen Jugend der Kompass in die Hand gedrückt wird. Nirgendwo ist der Abstand zwischen dem Durchschnittsalter der Bevölkerung und dem Durchschnittsalter der politischen Führung so groß wie in Afrika. Dabei stellen die jungen Leute die Mehrheit! Deshalb ist die Frage der Jugendpartizipation in Afrika eine der wichtigsten Fragen für die afrikanische Demokratie, und deshalb sollten wir unsere Zusammenarbeit noch konsequenter darauf ausrichten, der afrikanischen Jugend nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Beteiligungsmöglichkeiten zu bieten.

Ich wünsche mir, dass die Erhöhung der EZ-Mittel, wie sie Minister Müller durchgesetzt hat, vor allem afrikanischen Institutionen zu Gute kommt, jenen, die den Kompass halten müssen. Sollten wir nicht gerade jetzt massiv in afrikanische Think Tanks investieren, in Jugendinitiativen, in Regionalorganisationen? Im Special Panel der Afrikanischen Entwicklungsbank, das ich derzeit zusammen mit Kofi Annan leite, hat der Vergleich zweier Zahlen für viel Empörung gesorgt: während die letzte Wiederauffüllungsrunde des „African Development Fund“, den die Bank verwaltet, mit einem deutlichen Rückgang der Gelder geendet hat (Deutschland hat seinen Beitrag als eine der wenigen stabil gehalten), hatten die fast zeitgleich stattfindenden Verhandlungen zur Wiederauffüllung des IDA-Funds der Weltbank mehr Erfolg, sodass der Fonds der Bank aus Washington nun sechs mal mehr Ressourcen für Afrika zur Verfügung hat als der Fonds der Bank aus Abidjan. Nochmal: Wer hält Afrikas Kompass in der Hand?

VII.

Meine Damen und Herren,

ich möchte im letzten Teil meiner Rede über Geld sprechen. Und über Risiko. Geld kann nämlich beides: ermutigen und entmutigen. Ich glaube, dass Afrika einen neuen Mut zum Risiko braucht – sowohl in Afrika selbst als auch bei seinen Partnern, also bei uns. Und die Frage, wie wir unser Geld einsetzen, spielt hier eine ganz entscheidende Rolle.

Ich habe einmal einen Artikel von einem Evolutionspsychologen gelesen, der hat das mit dem Risiko so erklärt: die ersten Menschen brauchten einst für ihr großes Hirn viel Fleisch. Und so schlossen sich die Jäger zusammen und kooperierten – das ermöglichte dem einzelnen Jäger, mehr Risiko einzugehen und größere Tiere zu jagen. Wenn es mal schief ging, war da immer noch die Beute der anderen. Genutzt hat es allen, weil die Gruppe durch das größere Wagnis der Einzelnen insgesamt mehr Ertrag hatte. Wir lernen daraus, dass Kooperation etwas Urmenschliches ist, und dass der Mensch nur mit Mut und Risikobereitschaft weiterkommt.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die gigantischen Herausforderungen, die der afrikanische Kontinent für die ganze Welt bereithält, nur mit Kooperation zu lösen sind, die Mut zum Risiko fördert. Wir brauchen neues Denken, neue Wege, neue Ideen. Und die müssen auch mal schief gehen dürfen.

Nun freuen wir uns derzeit um einen für Deutschland historisch hohen Entwicklungs-Etat, auch wenn wir immer noch vom 0,7%-Ziel entfernt sind. Ich halte die Erhöhung schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit für richtig, denn das 0,7%-Versprechen geben wir schon seit den 70er-Jahren. In Zeiten, wo allerorten die Entwicklungsbudgets zusammengestrichen werden, beweist Deutschland Weitblick und Führungskraft. Auch dafür möchte ich Ihnen, Herr Minister Müller, und auch der Bundesregierung insgesamt, ausdrücklich danken.

Aber: Mehr Geld ist kein Selbstzweck. Mehr Geld fördert manchmal vor allem den Status Quo, wenn der berüchtigte Mittelabflussdruck und seine Schwester, die Absorptionsfähigkeit, ihre Kraken ausstrecken und dafür sorgen, dass nicht die beste, sondern die bequemste Idee finanziert wird. Mehr Geld kann wie ein Beruhigungsmittel wirken, weil es uns davor bewahrt, die notwendige aber schmerzhafte Priorisierung anzupacken – anstelle irgendwo einen Geldhahn abzudrehen, was immer mit Widerständen verbunden ist, drehen wir einfach an anderer Stelle neue Geldhähne auf.

Ohne die Innovationsfähigkeit des deutschen EZ-System anzuzweifeln, möchte ich werben: Wann, wenn nicht jetzt, wo manch alte Antwort weder bei uns in den Industrieländern noch in Afrika viel zu taugen scheint, könnten wir das Mehr an Geld konsequent dafür einsetzen, Neues auszuprobieren? Mut zum Risiko zu belohnen?

Sollten wir nicht gerade jetzt die Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit radikal darauf überprüfen, ob sie Eigeninitiative wirklich fördern oder doch eher abtöten? Und sollten wir jetzt nicht mit Kraft und Klugheit an neuen Konzepten arbeiten, wie wir das Mehr an Entwicklungsgeldern dafür nutzen können, um Investoren aus Afrika und Europa dazu zu ermutigen, privates Geld zu investieren, mit all dem Risiko, das dazugehört, aber auch all den Gewinnchancen, die darin stecken?

Ich verstehe die G20-Initiative des Bundesfinanzministers für einen „Compact with Africa“ und die im Marshall-Plan mit Afrika enthaltenen Ideen in dieser Hinsicht als kluge Doppelstrategie: Der Compact zielt auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen in afrikanischen Ländern ab, und der Marshall Plan zeigt auf, wie sich im Lichte dieser Verbesserungen gleichzeitig unser deutsches und europäisches Absicherungs- und Förderinstrumentarium weiterentwickeln muss. Ich glaube, dass mit einem solchen entwicklungs- und wirtschaftspolitischem aufeinander Zugehen die Schaffung von Arbeit und Einkommen im afrikanischen Privatsektor einen großen Sprung nach vorne machen kann. Aufeinander zugehen bei uns sollten auch alle beteiligten Ressorts und die verfasste Wirtschaft: Bitte nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten! Ich hoffe auch, dass der etwas folkloristische Abwehrreflex gegenüber dem Privatsektor, den ich in Teilen der EZ-Community gelegentlich wahrnehme, endlich überwunden wird, denn wo sollen den die Millionen Jobs für Afrikas Jugend entstehen, wenn nicht in der Privatwirtschaft? Das bedeutet nicht, dass wir auf einen billigen Trickle-Down-Effekt vertrauen müssen. Im Gegenteil, wir brauchen die konsequente Förderung gerade von kleinen und mittleren Unternehmen, von Entrepreneurship und von Start-Ups in Afrika. Vor allem das schafft Arbeitsplätze. Das wäre auch ein starkes Signal an die afrikanische Jugend. In diesem Sinne habe ich mich übrigens über die guten Nachrichten des zweiten German African Business Summit, der letzte Woche in Nairobi stattfand, gefreut. Der Summit hat die wachsende Bereitschaft der deutschen Wirtschaft unterstrichen, in Afrika und in Afrikas Jugend zu investieren. Danke, Herr Prof. Grosse, für Ihr besonderes Engagement im Rahmen der Subsahara-Afrika Initiative der deutschen Wirtschaft.

VIII.

Meine Damen und Herren,

Für die politische und wirtschaftliche Stabilität des Kontinents ist es von elementarer Bedeutung, dass die Jugend Afrikas positive Perspektiven sieht. Mehr als alles andere könnte diese Frage über Afrikas Zukunft entscheiden. Die Jugend ist bereit zum Lernen, zum Mitmachen, und auch zum Risiko. An vielen Orten hat sie nur wenig zu verlieren. Schaffen wir es, die große Wagnisbereitschaft, Kreativität und Hartnäckigkeit der afrikanischen Jugend zur transformativen Kraft auf dem Kontinent werden zu lassen?

Afrika ist ein Kontinent der Jugend, mit all den Gefahren und Möglichkeiten, die der Jugend eigen sind. Ich bin mir sicher, dass Afrika vorankommen wird. Aber es wird schneller und besser vorankommen, wenn wir unseren Nachbarkontinent dabei unterstützen. Nicht weil er uns leid tut, nicht weil wir Angst vor ihm haben, sondern weil wir, die alternden Gesellschaften des Nordens, dringend diesen jungen Partner im Süden brauchen.

Ich habe überhaupt keinen Zweifel: Afrika hat alles Potenzial für eine gute Entwicklung. Und die gegenwärtigen globalen Umbrüche können eine Chance für Afrika sein, aus der Nische des Underdogs herauszukommen. Wenn jetzt die afrikanischen Führer ihre Verantwortung ernstnehmen, und wenn Europa diese Eigenverantwortung mit einer neuen Ernsthaftigkeit unterstützt (einer Ernsthaftigkeit, die der historischen Aufgabe gerecht wird!) – dann kann Afrika nicht nur zu einem neuen Pol für weltwirtschaftliches Wachstums werden. Dann kann das 21. Jahrhundert sogar zu einem afrikanisch-europäischen Jahrhundert werden, einer wirklich neuen wirtschaftlichen und politischen Partnerschaft, die dem Planeten als Ganzem gut tut.

Eine kühne Vision sicherlich, aber der „Marshall-Plan mit Afrika“ hat dazu einen wunderbaren Anstoß gegeben. Und wir alle kennen viele Menschen aus Afrika und Europa und der ganzen Welt, die genau daran arbeiten. Es gibt eine strategische Alternative zu angstvollem Rückzug und engstirnigem Nationalismus. Die Entwicklungspolitik kann zu dieser Alternative beitragen, wenn sie wirklich das tut, was ihr Markenzeichen sein sollte: aufbrechen.

Vielen Dank.