Grußwort beim Benefizdinner der Operndorf-Stiftung

Berlin, 13. September 2013



Ich freue mich sehr, dass Sie hier sind, und dass ich kurz zu Ihnen sprechen kann. Denn, das kann ich gleich zu Beginn sagen, das Operndorf ist ein Projekt, das Hoffnung weckt – Hoffnung darauf, dass es ein Verhältnis zwischen Europa und Afrika geben kann, welches auf Gegenseitigkeit und nicht auf Dominanz beruht. Hoffnung darauf, dass Kultur zur Entwicklung von Kindern und der Entwicklung eines Landes beitragen kann. Das Operndorf ist ein Hoffnungsdorf. Deshalb danke ich Ihnen, liebe Frau Laberenz, und Ihnen, Herr Prof. Raue, schon jetzt für Ihr unermüdliches Engagement und auch für diesen Abend. Gerne möchte ich einige Gedanken zum Operndorf und zu Afrika mit Ihnen teilen.

Ich habe das Operndorf im Mai letzten Jahres besucht. Es hat mich beeindruckt, wie sehr das Dorf nicht nur architektonisch wächst, sondern wie schon jetzt alles brummt und brodelt mit Kreativität und Kunst. Falls Sie noch keine Gelegenheit hatten, die großartigen Fotos anzusehen, welche die Kinder aus dem Operndorf unter Anleitung der Fotografin Marie Köhler (wir sind nicht verwandt oder verschwägert!) gemacht haben, dann sollten Sie das nachholen. Nachher gibt es übrigens die Möglichkeit nicht nur zum Anschauen, sondern auch zum Kaufen von Abzügen, aber damit auch schon genug der Werbung.

Auf einem der Fotos ist ein Paar nackter Füße zu sehen, die in ein klappriges Fahrrad treten. Dieses Bild hat mich an ein Erlebnis erinnert, das Sie, lieber Henning Mankell, vor fast 30 Jahren in Mosambik hatten, und das mich sehr berührt hat, als Sie uns davon erzählten. Sie waren zu Fuß in der trockenen, einsamen Landschaft unterwegs, und sind einem Jungen begegnet, der offensichtlich ausgehungert war und dessen Kleider in Fetzen an seinem Körper herabhingen. Als Sie Ihren Blick auf seine Füße richteten, sahen Sie, dass er schwarze Schuhe darauf gemalt hatte, mit Erdfarben und mit Wasser vermischten gemahlenen Kräutern. Er hatte sich das aufgemalt, was er in Wirklichkeit nicht haben konnte, ein Paar Schuhe. Sie sagten uns: „Mit seiner Phantasie und diesen Farben bewahrte er seine Würde in dieser schweren, geradezu unerträglichen Situation“. Dieses Bild der aufgemalten Schuhe bedeutet für mich auch: Phantasie, Kreativität und der künstlerische Ausdruck der eigenen Identität, das ist kein Luxus, sondern ureigener Bestandteil des Lebens. Kultur ist dort, wo Leben ist.

Die Provokation von Christoph Schlingensief, das war, ausgerechnet dort in Kultur investieren zu wollen, wo bittere Armut herrscht. „Hybris! Zynismus!“ hatte so manch einer geschrien, der von den Plänen hörte; und natürlich hat das Label „Oper“ – bei Vielen ohnehin dem Verdacht des überteuerten Elitenvergnügens ausgesetzt – sein Übriges beigetragen. Aber Schlingensief hat uns alle gefoppt. Nichts lag ihm ferner, als eine vermeintliche westliche Oberschichtskultur in ein afrikanisches Dorf zu verpflanzen. Er wollte zurück zu den Wurzeln der Oper, zu den Wurzeln der Kunst, zu den Wurzeln des authentischen Ausdrucks menschlichen Erlebens. Das Leben, nein: das Zusammenleben als Gesamtkunstwerk, das war sein Traum. Und die Irritation, die er damit auslöste und vielleicht immer noch auslöst, ist eine fruchtbare, denn sie konfrontiert uns mit unseren Vorstellungen nicht nur von Oper und der Kunst, sondern auch von Afrika und dem Verhältnis zwischen Europa und Afrika.

Es ist ja Realität, dass wir Europäer uns Afrika oft immer noch mit einer gehörigen Portion Überheblichkeit nähern, die sich manchmal in falschem Mitleid äußert, manchmal in Ignoranz gegenüber der unglaublichen Vielfalt des Kontinents. Was uns schwer fällt (und das ist nun wohl keine europäische, sondern wohl zutiefst menschliche Eigenschaft), das ist, zuzuhören, uns ohne fertige Bilder im Kopf dem Anderen, dem Fremden zu nähern und etwas entstehen zu lassen, ohne gleich ein vorgeprägtes Urteil zu fällen. All das, so der Traum Schlingensiefs, all das könnte uns das Operndorf lehren. Einen neuen, unverstellten Blick auf den menschlichen Schaffensprozess zu wagen. Und, das ist meine Hoffnung, vielleicht auch einen neuen Blick auf Afrika.

Meine Damen und Herren,

die Wirtschaft und die Kultur, das sind beides Dinge, die den Erfindungsgeist und die Erneuerungskraft des Menschen fordern. Für beides braucht es einen gewissen Mut für das Neue; und beides funktioniert nur in der Zugewandtheit zur Welt, nicht in der Abgrenzung. Beides sollte dazu da sein, den Blick des Menschen zu weiten, anstatt ihn zu verengen.

Die Wirtschaft freilich kann auch eine zerstörerische Wirkung entfalten. Wenn sie nur noch dem Gelde und dem Wohle einiger Weniger dient, dann pervertiert ihre schöpferische Kraft. Leider musste und muss gerade Afrika in seiner langen Geschichte erleben, dass der große Ressourcenreichtum des Kontinents zum Fluch für die lokale Bevölkerung wurde, anstelle Motor von Entwicklung zu sein. Das ist einer der vielen Gründe für die immer noch große Armut, in der die meisten Menschen in Sub-Sahara Afrika leben. Aber: Es gibt Hoffnung. Ich würde sogar sagen, dass wir derzeit einige Anzeichen dafür sehen können, dass sich in vielen afrikanischen Ländern der Wind dreht. 6 der 10 derzeit am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Erde befinden sich in Afrika. Schon seit 2005 sind die Summen, die ausländische Investoren jährlich auf dem Kontinent investieren, höher als die Entwicklungshilfezahlungen der Industrieländer. Im vergangenen Jahrzehnt waren alle afrikanischen Staaten – mit Ausnahme Simbabwes – in der Lage, ihren Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index) zu verbessern. Es entsteht eine Mittelschicht. Auf vier Afrikaner kommen drei Handys, dieselbe Rate wie in Indien. In keinem westlichen Land ist der Anteil internetfähiger Handys so hoch wie in den afrikanischen Schwellenländern, was den Kontinent sogar zu einem globalen Vorreiter etwa bei der Entwicklung mobiler Bezahlsysteme macht.

Für die Zukunft einer menschenorientierten afrikanischen Wirtschaft wird entscheidend sein, ob es gelingt, den ökonomischen Wertschöpfungsprozess in Afrika selbst zu erweitern. Es kann doch nicht sein, dass uns die Westafrikaner billige Kakaobohnen verkaufen, wir dann mit hohem ökologischem Aufwand den Rohstoff nach Europa schaffen, dort verarbeiten und dann die teure Schokolade wieder nach Afrika verkaufen! Damit der afrikanische Aufschwung dauerhaft erhalten werden kann und echte Jobs für die vielen jungen Menschen entstehen, muss also die verarbeitende Industrie aufgebaut und die regionalen Märkte erweitert werden. Es ist meine Hoffnung, dass sich hier besonders auch der deutsche Mittelstand mit Investitionen einbringen kann, mit seinem sozial verantwortlichen und lokal verwurzelten unternehmerischen Handeln.

Wir müssen natürlich aufpassen, nun nicht einfach nur das eine Afrika-Klischee des Armenhauses mit dem des ökonomischen Blitzaufsteigers zu ersetzen. Die Grundregel, dass es das eine Afrika nicht gibt, gilt auch hier. Und so wird es leider auch weiterhin Länder in Subsahara-Afrika geben, deren Sozialentwicklung immer noch so schwach ist, dass in den kommenden Jahren kein Wirtschaftsboom zu erwarten ist, der wirklich in der Breite der Bevölkerung ankommt. Auch Burkina Faso gehört sicherlich nicht zu den Löwenstaaten, wie man die afrikanischen Schwellenländer mittlerweile nennt.

Und doch ist das Wort vom „Afrika im Aufstieg“ vielleicht auch in solch armen Staaten nicht unangebracht. Denn der afrikanische Aufbruch ist nicht nur in der Wirtschaft, sondern gerade auch in der Kultur zu beobachten. Viele meiner afrikanischen Freunde sehen den Kontinent auf dem Weg der Selbstfindung an einem Punkt neuen Selbstbewusstseins angekommen. Eine neue Generation afrikanischer Künstler, Schriftsteller und Intellektueller bekommt auch international mehr und mehr Aufmerksamkeit, Respekt und Bewunderung. Künstler wie Romuald Hazoumè aus dem Benin stellen ihre afrikanische Identität in den Mittelpunkt ihres künstlerischen Schaffens und wehren sich gleichzeitig gegen Versuche, afrikanische Kunst als „Ethno-Kunst“ zu verniedlichen. Die Definition dessen, was Kunst ist, gehört nicht mehr allein dem Westen, und das war längst überfällig. Der afrikanische Film erfindet sich selbstbewusst neu, und gerade Burkina Faso ist hier ganz vorne dabei – das Pan-Afrikanische Filmfestival in Ouagadougou ist das wichtigste seiner Art in Afrika.

Kultur ist meist dort am beeindruckendsten, wo sie es schafft, sich dem Primat des Ökonomischen zu entziehen. Und sie hat gleichzeitig, davon bin ich überzeugt, eine so emanzipierende und schöpferische Wirkung, dass sie langfristig auch das ökonomische Potential eines Landes wecken kann. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich will hier nicht dem Utilitarismus das Wort reden, denn natürlich hat die Kultur ihre ganz eigene, zweckfreie Existenzberechtigung. Aber doch glaube ich, dass die Kinder von Remdogoo nicht nur Kreativität im gesellschaftlichen Vakuum lernen, sondern dass ihr Erfindungsreichtum und Entdeckergeist natürlich auch dem Wohle ihrer Gemeinschaft und ihres Landes nutzen wird. Und deshalb ist das Operndorf nicht nur einfach eine verrückte Idee, die uns inspiriert, sondern auch ein verdammt cleverer Ansatz, Entwicklung zu ermöglichen – Entwicklung sowohl im persönlichen wie auch im ökonomischen Sinne.

Dass dafür auch Grundlagen nötig sind, dass man hungrig nicht besonders hoffnungsvoll und krank nicht besonders kreativ sein kann, das wissen die Macher des Operndorfes und haben eine Schule, eine Krankenstation und andere Einrichtungen der öffentlichen Infrastruktur mitgeplant und mitgebaut. Es soll eben ein echtes Dorf sein, mitten im Leben. Remdogoo soll Kunst produzieren, aber kein Kunstprodukt sein.

Meine Damen und Herren,

heute Abend habe ich drei Wünsche, einen für Afrika, einen für Remdogoo, und einen für uns hier in diesem Raum. Mein Wunsch für Afrika ist, dass es dem Kontinent gelingt, den derzeitigen Aufschwung zu nutzen für eine langfristige positive Entwicklung zum Wohle seiner Menschen, gerade auch der jungen. Mein Wunsch für Remdogoo ist, dass es weiterhin ein Ort ist, wo Gemeinschaft wachsen kann, ohne dass der Blick für den Einzelnen verloren geht; ein Ort, wo Raum ist, sich selbst und die Welt zu entdecken und das in allen möglichen Kunstformen auszudrücken.

Und mein letzter Wunsch ist einer für uns hier: dass wir beitragen, mit der Gründung der Stiftung Operndorf der Vision Schlingensiefs eine langfristige ökonomische Grundlage zu geben, und damit unseren Blick auf Afrika und unseren Blick auf Kultur weiten lernen. Wir können mehr tun als die Schuhe nur aufzumalen.

Ich danke Ihnen.