Freiheit braucht Bindung, Zukunft braucht Partnerschaft

Rede zum 25-jährigen Bestehen des Ostdeutschen Sparkassenverbands OSV
Potsdam, 27. Oktober 2016



I. Jahrestage

Jahrestage sind hilfreich. Sie lassen uns innehalten im geschäftigen Treiben, wir blicken zurück auf Erlebtes, Erstrebtes und Erreichtes, und wenn das Erstrebte und das Erreichte sich sehen lassen können, dann darf das durchaus gefeiert werden. So wie heute. Der Ostdeutsche Sparkassenverband (OSV) blickt auf sein 25-jähriges Bestehen zurück, und in dieser Zeit hat er sehr viel Gutes erstrebt und erreicht. Dazu gratuliere ich von Herzen.

II. Leistung des OSV und der Sparkassen

Die Sparkassen sind in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt aus dem Wirtschaftsleben und aus dem Bild der Städte und Gemeinden nicht mehr fortzudenken. Das wirkt heute selbstverständlich, aber dahinter steckt eine enorme Aufbau- und Gemeinschaftsleistung.

Die Ausgangslage war nicht gerade rosig. In der DDR hatten die Sparkassen keinen besonders guten Ruf. Ihr Angebot und ihr Service waren, höflich gesagt, überschaubar. Sie waren Teil des planwirtschaftlichen Systems, das offensichtlich abgewirtschaftet hatte und von dem die Menschen sich lösen wollten, so schnell und wo immer es nur ging. Zudem drängten nach der zum 1. Juli 1990 in Kraft getretenen innerdeutschen Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion die westdeutschen Privatbanken energisch auf den ostdeutschen Markt. Dennoch ist es den Sparkassen in Ostdeutschland gelungen, sich das Vertrauen ihrer Kunden zu erwerben und zu bewahren und für den Mittelstand und für die Städte und Gemeinden zu einem ebenso starken und verlässlichen Partner zu werden, wie das die Sparkassen in Westdeutschland schon lange waren und bis heute sind.

Das Fundament für diesen Erfolg haben die Sparkässler aus Ost und West gemeinsam gelegt. Es gibt so manche Lagerfeuergeschichte darüber, wie damals die Teams zusammenkamen, wie sie anpackten und voneinander und miteinander lernten. Anfangs waren natürlich die westdeutschen Kollegen stärker die Gebenden, denn die hatten ja schon einige Jährchen Erfahrungsvorsprung in Sachen Soziale Marktwirtschaft. Aber die ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen lernten schnell, die Mischung stimmte, und oft kamen in den vergangenen Jahren die innovativen Impulse für die deutschen Sparkassen aus dem OSV, ich nenne beispielhaft hier nur das Sparkassen-Finanzkonzept. Mittlerweile gibt es längst in ganz Deutschland ein Sparkassenwesen aus einem Guss, mit Karrierewegen, die kreuz und quer über die Landkarte verlaufen, und mit einem Ostdeutschen Sparkassenverband, dessen Stimme zählt und der inzwischen auch die Sparkassen in Schleswig-Holstein berät.

Die ostdeutschen Sparkassen haben maßgeblich zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Neuaufbau in Ostdeutschland beigetragen. Ohne sie wäre die marktwirtschaftliche und die mittelständische Erneuerung der Wirtschaft in Ostdeutschland nicht so gut vorangekommen. Ohne sie hätte sich dort die kommunale Selbstverwaltung nicht so schnell und so tief wieder verwurzelt. Sie fördern das gute Miteinander in Stadt und Land, das eine wichtige gesellschaftliche Wärmequelle ist – und zugleich eine Ressource für wirtschaftlichen Erfolg, deren Bedeutung oft unterschätzt wird. Und die Ostdeutsche Sparkassenstiftung hat in den vergangenen zehn Jahren 76 Millionen Euro für kulturelle Vorhaben bereitgestellt. Das alles ist nicht allein für die Wirtschaftsleistung und für die Lebensqualität in den Ländern des OSV wichtig, sondern es hat noch eine tiefere Bedeutung: Es ist wichtig für die Legitimität und für die Akzeptanz unserer politischen Ordnung. Ich erwähne das gern und mit Dank und Anerkennung, aber ich erwähne es auch deshalb eigens und ausdrücklich, weil wir uns meines Erachtens wieder viel stärker darauf besinnen sollten, was denn eigentlich den Kern und den Wert unserer politischen Ordnung ausmacht: Es ist das glaubwürdige Bekenntnis zu einer Freiheit, die sich in Verantwortung bindet.

III. Freiheit und Bindung, Regellosigkeit und Unordnung

Die Bürgerinnen und Bürger der DDR haben sich in der friedlichen Revolution für den sozialen Bundesstaat des Grundgesetzes und für die Soziale Marktwirtschaft entschieden, – nicht für einen ordnungspolitischen Wilden Westen. Und ich glaube, die Sparkassen mit ihrer finanziellen Solidität, ihrer Ortsverbundenheit und ihrem satzungsgemäßen öffentlichen Auftrag haben für die Menschen in Ostdeutschland gute Brücken in diese neue Ordnung gebaut. Leider haben wir alle seit dieser Zeit aber auch ein ganz anderes Geschäftsgebaren erlebt, gerade im Bereich des Banken- und Finanzwesens. Da ist wildester Westen gespielt worden, da begünstigte unbedachte Deregulierung eine Finanzkultur der Maßlosigkeit, da sollte Sieger sein, wer am meisten hochriskante Papiere verkaufte, und viele private und öffentliche Haushalte verschuldeten sich, als gäbe es kein Morgen.

Das alles hat der Welt die größte Finanz- und Wirtschaftskrise seit der großen Depression beschert, es hat dem Westen und der Strahlkraft seiner Ideale enorm geschadet, es hat die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion erschüttert, und mit den materiellen und geistigen Folgen dieser ganzen Verirrung ringen wir bis heute.

Freiheit braucht Bindung – die Bindung an Regeln, an persönliche Verantwortlichkeit und an gemeinsame Maßstäbe dessen, was sich gehört und was nicht. Um es wie der unvergessene Ludwig Poullain zu sagen: Im Gegensatz zum Banker weiß der Bankier, wann der Satz greift: „So etwas tut man nicht.“

Wie Freiheit in Bindungslosigkeit umschlägt und dadurch zerstörerisch wird, das haben wir seit 1990 auch in den internationalen politischen Beziehungen erlebt. Die Welt ist damals vom Ost-West-Konflikt und von der Konfrontation der Blöcke befreit worden, aber friedlicher hat sie das nicht gemacht. Wir haben erlebt, wie Regierungen anderen Völkern Freiheit und Demokratie mit dem Schwert bringen wollten, wie Staaten die Urteile internationaler Gerichtshöfe ignorieren und wie Autokraten Nachbarländer angreifen und destabilisieren. Wir wurden Zeuge, wie im Nahen Osten Freiheitsbewegungen in Anarchie und neuer Gewaltherrschaft versanken und wie mörderische Glaubensfanatiker sich anderen Menschen gegenüber an überhaupt keine Regel mehr gebunden fühlen. Weltweit sind so viele Menschen auf der Flucht wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Auch in alledem fehlt es an Regeln, an Verantwortlichkeit und an gemeinsamen Wertmaßstäben, und auch das beunruhigt die Menschen und lässt sie fragen, ob die Ordnungsleistung der freiheitlichen Demokratien dem allen noch gewachsen ist.

Und als wäre das alles nicht schon genug, strömen weitere säkulare Veränderungen auf uns ein wie der demographische Wandel, die Digitalisierung der Arbeitswelt und rapide Veränderungen im Lebensstil, der von Individualismus und Wahlfreiheit oft in Bindungslosigkeit, Vereinzelung und Vereinsamung entgleitet. Auch das bereitet den Menschen Sorge und Unbehagen, und auch das beeinflusst die Bilanz des Erreichten.

So ziehen hierzulande Viele ein Fazit des „Ja, aber“: Ja, es geht uns gut, aber wie lange noch? Ja, wir haben viel erreicht, ja, wir haben uns erfolgreich eingestellt auf den rasanten Wandel seit 1990, und haben ihn kraftvoll mitgestaltet, auch und gerade hier in Ostdeutschland – aber hören denn die tiefen Veränderungen niemals auf?

Ich finde, wir sollten das Ja so ernst nehmen wie das Aber. Mit Blick auf Deutschland gesprochen: An der Richtigkeit der Wiedervereinigung und am Erfolg der Einheit gibt es keinen vernünftigen Zweifel. Einigkeit und Recht und Freiheit sind für uns Deutsche seit 1990 kein Wunsch- und Sehnsuchtsprogramm mehr, sondern anstrengender und beglückender Alltag. Der Aufholprozess der neuen Länder kann sich wahrlich sehen lassen, was Themen anlangt wie Infrastruktur und Produktivität, Renten und Löhne, Einkommen und Vermögen. Niemand leugnet, dass es noch Lücken zu schließen gibt, aber alle sind einig, dass die Lücken verschwinden sollen. Wir stehen zusammen. Also: Kein vernünftiger Mensch wünscht sich die Zeiten der Teilung zurück.

Aber zugleich sollten wir erkennen und innerlich akzeptieren, wie sehr die aktuellen Probleme in Deutschland und in Europa, und wie sehr die weltweit anhaltenden Veränderungen und Konflikte auch Folge der tektonischen Verschiebungen sind, welche die Deutsche Einheit überhaupt erst möglich gemacht haben: Sie sind Folge der Befreiung vieler Nationen, ihres Glückes Schmied zu sein, und sie sind Folge von Freiheit, die auch in Bindungs- und Regellosigkeit umgeschlagen ist. Die Welt hat mit dem Fall des Eisernen Vorhangs einen mächtigen Sprung gemacht, aber sie braucht und sie ringt nun um eine bessere Balance von Freiheit und Verantwortung, in der Politik und in der Wirtschaft ebenso wie beim Schutz von Klima und Umwelt.

Das ist ein ziemlich monumentales und etwas einschüchterndes Panorama, ich weiß. Manche werden fragen: Wenn es sozusagen ums Weltganze geht, was können wir da schon tun? Sollten wir uns nicht lieber auf „Eigensicherung“ beschränken und nach dem Motto verfahren: „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“?

Nein, denn die Pointe aus dem Panorama der globalen Interdependenz lautet gerade: Eigensicherung gelingt nur mit Sorge auch um das Wohlergehen der Anderen. Wer allein an sich denkt statt auch an die berechtigten Anliegen der Anderen, der wird die eigenen Interessen auf Dauer nicht wahren können. Einerseits kann heutzutage kein Land, und sei es noch so mächtig, Prosperität erstreben und bewahren, ohne dasselbe allen anderen zuzubilligen. Und andererseits kann jede und jeder, auch jede und jeder von uns, im eigenen Lebens- und Verantwortungskreis dazu beitragen, dass die Welt eine neue und bessere Balance findet.

Lassen Sie mich das an zwei Beispielen ein wenig genauer erläutern: an den Aufräumungsarbeiten wegen der Finanz- und Schuldenkrise und an der Großen Transformation, die allen Gesellschaften und Volkswirtschaften bevorsteht, auch der unseren.

IV. Finanz- und Schuldenkrise

Freiheit braucht Bindung: Eine wesentliche Bindung des Finanzsektors war immer seine dienende Rolle gegenüber den Privatkunden und der Realwirtschaft. Diese Bindung haben in den Jahren vor der Weltfinanzkrise viele große Finanzinstitute abgestreift. Sie widmeten sich nicht mehr vorrangig der Aufgabe, Ersparnisse zu sammeln und zu belohnen, sie in die Erzeugung realwirtschaftlicher Produkte und Dienstleistungen zu lenken und den Zahlungsverkehr in der Gesellschaft zu organisieren, sondern sie widmeten sich vorrangig dem Eigenhandel, der Erfindung und dem Vertrieb eigener Papierprodukte, der Finanzierung von Staatsverschuldung und der gegenseitigen Kreditierung im Bankensystem. Zu ihrem Hauptziel wurde statt der Güterproduktion die Geldproduktion. Ihr kam dabei entgegen, dass sich die Politik immer mehr einem Diktat der Wachstumsratenpolitik mit Hilfe billigen Notenbankgeldes und zunehmender Staatsverschuldung verschrieb. Damit verbundene Risiken für die Realwirtschaft und die Gesellschaft wurden – und werden nach meinem Empfinden noch immer – kollektiv kleingeschrieben. Dazu trägt ein intensiver Lobbyismus bei, für den die financial industry weit verzweigte Netzwerke und Milliarden von Dollar aufwendet.

Der Crash von 2007/2008 hat bewiesen, dass dieses finanzkapitalistische Modell und seine zyklischen Krisen unsere Gesellschaften und die Weltwirtschaft unakzeptabel belasten. An den Folgen laboriert die Weltwirtschaft und laborieren einige Staaten der Euro-Zone noch immer. Auch in Deutschland haben sich viele Finanzinstitute und in gewissem Umfang leider auch Landesbanken und manche Sparkasse an Fehlentwicklungen des Finanzsektors beteiligt. Sie haben neben, wenn nicht gar vor die Frage, was dem Kunden wirklich dient, die Frage gestellt, was der Bank kurzfristig am meisten nützt, welche angeblichen Finanzinnovationen die höchste Provision bringen und wie sich der Vertrieb dafür immer weiter ausbauen lässt.

Die Krisenfolgen begleiten uns weltweit bis heute. Sie lauten: historisch hohe Verschuldungsgrade, extrem gewachsene Zentralbankbilanzen, Wachstums- und Investitionsschwäche, Negativzinsen und ein immer noch anfälliges Bank- und Finanzsystem mit einem enorm gewachsenen Schattenbankwesen. Der Finanzsektor ganz allgemein hat enorm an Vertrauenskapital eingebüßt, dem wichtigsten Kapital überhaupt.

Was die Niedrigzinspolitik anlangt: Sie war gewiss anfangs nötig, um eine Depression wie zwischen den Weltkriegen abzuwenden. Heute gelten die Niedrigzinsen aber schon als „the new normal“ / „die neue Normalität“. Ich glaube, dass mittlerweile die Nachteile der extrem leichten Geldpolitik ihre Vorteile überwiegen. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hat hierfür eindrückliche Analysen vorgelegt, und ich möchte ihre Warnungen wie folgt zusammenfassen:

Der fortwährende Geldfluss und das quantitative easing schwächen die Volkswirtschaften, weil sie Zombie-Banken am Leben erhalten, die wiederum Zombie-Unternehmen kreditieren. So wird Strukturwandel, wird auch kreative Zerstörung als Treiber von Wachstum blockiert. Gleichzeitig torpediert diese Geldpolitik die Geschäftsgrundlagen von Banken, Versicherungen und Pensionsfonds. Öffentliche Schulden verwandeln sich von einer Last in eine Verlockung, und man mag sich gar nicht ausmalen, wie die Schuldenlast der öffentlichen Haushalte aussehen wird, wenn die Zinsen eines Tages wieder steigen. Was dafür gedacht war, Zeit zu kaufen, ist zum Dauerunterstützungsprogramm für politische Trägheit bei Strukturreformen geworden.

Meine Schlussfolgerung aus diesem Problemmix ist: Auch Dauerstimulierung kann hohe Wachstumsraten nicht erzwingen, wenn die endogenen Wachstumskräfte schwach bleiben. Womöglich sind wir sogar an einem Punkt angelangt, an dem das dauernde Stimulieren selbst Unsicherheit schafft, und Unternehmen gerade deshalb weiterhin zurückhaltend sind mit Investitionen.

Nach dem erfolgreichen Krisenmanagement nach 2008 ist es meines Erachtens für die Staaten der G20 jetzt an der Zeit, den Übergang zu einer langfristig überzeugenden Wachstumspolitik zu finden. Und dazu gehört sicherlich der Beginn eines schrittweisen Ausstiegs aus der ultralockeren Geldpolitik. Kernthema für mehr Wachstum bleiben Strukturreformen zur Stärkung der endogenen Wachstumskräfte. Für Deutschland würde ich dazu eine namhafte steuerliche Entlastung für untere und mittlere Einkommen zählen, aber auch mehr öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Digitalisierung und ökologische Innovationen (wo bleibt zum Beispiel das flächendeckende Netz an Aufladestationen für Elektroautos?).

V. Herausforderungen

Die Flutung der Märkte mit Notenbankgeld lässt sich zurückdrehen. Es gibt aber andere Herausforderungen, welche die Gesellschaft bei uns in Deutschland und weltweit tiefgreifend verändern – und diesen Veränderungen kann nicht mit guten Gegenargumenten begegnet werden, sondern sie verlangen gute Anpassung an gründlich veränderte Umstände. Und ich kann gleich sagen, dass dieser Anpassungsprozess – nein, besser: dieser Lernprozess – nichts ist, was zu Heulen und Zähneklappern führen sollte, sondern etwas, das in Wahrheit große Chancen in sich trägt.

Aber der Reihe nach.

Ich glaube, dass vor allem zwei große Entwicklungen die Gesellschaft und damit das Geschäftsumfeld der Sparkassen in den nächsten Jahrzehnten prägen und eine Große Transformation bewirken werden. Das ist erstens die zunehmende Digitalisierung, die ja nicht nur eine technische, sondern vor allem auch eine enorme kulturelle Umwälzung ist. Zweitens ist das die globale Suche nach einem neuen Wohlstandsmodell, welches allen Menschen dieses Planeten ein Leben in Würde ermöglicht und gleichzeitig unseren Planeten nicht überfordert.

VI. Digitalisierung

Zunächst zur Digitalisierung: Vor weniger als zehn Jahren sind wir in das Zeitalter der Smartphones und der Tablet-PCs eingetreten. Sie haben längst durch universelle Präsenz und intuitiv leichte Bedienbarkeit das Nutzerverhalten revolutioniert und dem Marktplatz Internet einen kräftigen zusätzlichen Schub gegeben. Dort surft der Kunde von Angebot zu Angebot, von Vergleichsportal zu Vergleichsportal, und entsprechend sinkt seine Bereitschaft, sich ohne weiteres auf längerfristige geschäftliche Bindungen einzulassen. Zugleich machen sich auch im Finanzbereich neue Wettbewerber den Umstand zunutze, dass sich Dienstleistungen im Internet fast ohne organisatorischen Overhead anbieten lassen. Entsprechend aggressiv und für viele Kunden attraktiv können sie anbieten und angreifen.

Wie lässt sich das parieren? Darüber zerbrechen sich nicht allein die Sparkassen oder die Volks- und Raiffeisenbanken den Kopf. Ich glaube es dürfte nicht die richtige Antwort sein, selber komplett digital und virtuell zu werden. Das bieten die Neuen schon. Genauso wenig hilft es aber, nur zu wehklagen und dem eigenen Niedergang zuzusehen. Die Digitalisierung sollte bitte nicht als Fluch verstanden werden, der die schöne alte Analogwelt kaputtmacht. Das Internet erleichtert das Leben von Milliarden von Menschen und es eröffnet neue Geschäftsfelder, von denen wir heute noch nicht mal ahnen. Das muss keine Bedrohung sein für die Sparkassen, das ist vor allem auch eine Chance! Wer weiß, welche klugen Funktionen einst die Sparkassen-App erfüllen kann? Mit der Entwicklung der virtuellen Geschäftsstelle hat der OSV hier ja auch schon wichtige Pionierarbeit geleistet.

Der konstruktive Umgang mit dem Kostendruck, der v.a. durch die Internet-Konkurrenz entsteht, scheint mir ein Indikator zu sein für die innere Agilität und damit eben nicht nur für die betriebswirtschaftliche, sondern auch die geistige Zukunftsfähigkeit einer Organisation. Ich könnte mir vorstellen, dass eine breite Diskussion innerhalb der Sparkassen darüber, wie ihre Strukturen im Jahr 2025 aussehen könnten, diese innere Agilität herausfordert und anregt. Und ich würde in diese Diskussion insbesondere auch die Kunden einbeziehen, die jungen, wie die alten.

Die Kundennähe ist auch in einer digitalen Welt weiterhin wichtigste Stärke und eigentlicher Auftrag der Sparkassen: Sie dienen der regionalen Wirtschaftsentwicklung und ihren heimatlichen Betrieben und Kommunen, sie dienen ihren Kunden. Das setzt Bürgernähe voraus, Unternehmensnähe und eine enge Zusammenarbeit mit den Kommunen und mit der Zivilgesellschaft bei der Entwicklung der regionalen Wirtschaftskraft. Diese Nähe lässt sich nicht total virtualisieren; und das direkte Gespräch, das Sich-in-die-Augen-Sehen-Können, bleibt unersetzlicher Kern für Vertrauen und Verbundenheit – und damit Verbindlichkeit. Kundennähe ist auf „Realpräsenz“ in der Fläche angewiesen, auch auf ein Netz von Filialen, die keine Tagesreise entfernt liegen. Das ist kein Petitum gegen die Straffung des Filialnetzes, das muss aus Kostengründen wohl sein. Aber dieser vertraute und mit der Region vertraute Sachbearbeiter bleibt ein besonderer Vorzug der Sparkassen. Er kennt die Besonderheiten, die für gute Beratung und für gute Kreditentscheidungen nötig sind, und nur er kann das persönliche Vertrauen der Kunden gewinnen, das es bei keinem Vergleichsportal gibt. Wenn die Sparkassen diese Nähe und diese Vertrauensbeziehung aufgäben, dann würden sie die wichtigste Quelle ihrer Kraft und ihres Erfolges schwächen, und dann verlieren sie auch ihren bestimmenden Charakterzug und womöglich ihre Existenzberechtigung.

Starke Kommunen, starke Landkreise, ein starker Mittelstand und vitale Sparkassen sind Pfeiler unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Das gilt gerade auch für Ostdeutschland, das ja einen sehr dezentralisierten Wandlungsprozess erlebt hat. Die Sparkassen und der OSV haben deshalb allen Grund dies selbstbewusst, unaufgeregt und einig immer wieder der nationalen und internationalen Politik zu vermitteln.

VII. Die große Transformation

Denn die Stärke, zu der die Sparkassen beitragen, ist wichtig auch über Deutschlands Grenzen hinaus. Damit komme ich zu der zweiten großen Herausforderung, vor der ich die Gesellschaft und die Sparkassen sehe. Es ist die Frage nach unserem Wohlstandsmodell, das an seine Grenzen kommt, jedenfalls wenn wir einen globalen Blick wagen.

Der globale Blick: Die Weltbevölkerung wird von derzeit über sieben Milliarden Menschen bis 2050 auf etwa neuneinhalb Milliarden wachsen. Allein auf unserem Nachbarkontinent Afrika werden dann über zwei Milliarden Menschen leben – doppelt so viel wie heute, und damit doppelt so viele, eine Milliarde mehr, die Ausbildung, Arbeit, Perspektiven brauchen. Aber schon heute sterben fast 30.000 Kinder unter 5 Jahren täglich (täglich!), die allermeisten an vermeidbaren Krankheiten; schon heute haben 750 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser. Wie sollen da 10 Milliarden Menschen versorgt werden, so, dass alle ein Leben in Würde führen können, wenn wir das heute schon nicht schaffen?

Eine Antwort ist eindeutig: die armen Länder brauchen starkes Wirtschaftswachstum, sodass dort mehr Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Kraftwerke gebaut werden, sodass Industrialisierung und Wertschöpfung und damit Arbeitsplätze entstehen.

Diese Antwort hat aber einen Haken.

Denn das Wirtschaftsmodell bei uns, in den reichen Ländern, das uns ein historisch nie da gewesenes Niveau an Wohlstand beschert hat, geht zurzeit damit einher, dass es sich mehr nimmt, als ihm zusteht. 20 Prozent der Weltbevölkerung verbrauchen 80 Prozent der Ressourcen, und wenn alle Menschen so konsumieren und produzieren würden wie wir in den Industrieländern, dann bräuchten wir mehrere Planeten in Reserve. Der Klimawandel, der für viele Menschen gerade in Afrika schon längst lebensverändernde Realität ist, ist Ausdruck dafür. Die bittere Wahrheit ist, dass wir unseren Wohlstand auf Pump aufgebaut haben – und das eben nicht nur in ökonomischer, sondern auch in ökologischer Sicht.

Wenn wir so weitermachen wollen wie bisher, müssen wir also wählen: entweder wir lassen große Teile des globalen Südens in Armut und Konflikt verharren (dann aber werden irgendwann die dicksten Mauern und höchsten Zäune um Europa nicht mehr helfen), oder aber wir fahren den Planeten vor die Wand.

Vor dieser Wahl stehen wir – wenn wir so weitermachen wie bisher. Die Alternative – und, Sie merken es, aus meiner Sicht der einzige gangbare Weg, wenn wir unsere Werte nicht ganz als hohl entlarven wollen – ist eine große Transformation, die der Interdependenz allen Geschehens auf der Erde Rechnung trägt und sich vornimmt, allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen, innerhalb der ökologischen Grenzen des Planeten.

Im letzten Jahr hat die internationale Staatengemeinschaft zwei große Beschlüsse gefasst, die den Rahmen für eine solche Transformation beschreiben: das Klimaabkommen von Paris, das vor wenigen Wochen in Kraft getreten ist, und die 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Beide Beschlüsse benennen Veränderungsbedarf im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen. Also auch bei uns.

Und das heißt: Bei uns brauchen wir vor allem eine Dekarbonisierungs- und Effizienzrevolution. Unsere Produktions- und Konsummuster müssen sich ändern, unsere Art der Energieerzeugung, der Landwirtschaft, der Mobilität, aber auch unsere Handelspolitik und die internationale Steuerpolitik. Hören wir derzeit nicht viel über die Notwendigkeit, der Flüchtlingskrise auch mit der Bekämpfung der Fluchtursachen entgegenzuwirken? Ansatzpunkte hierfür finden sich nicht zuletzt in diesen politischen Feldern.

Wir müssen in diesem Zusammenhang das Wachstum neu denken, und wir sollten uns davor nicht fürchten. Wir brauchen keine Angst zu haben, dass ein Wachstumspfad von, sagen wir, 1% in den reichen Ländern ins Chaos führt. Angesichts der Grenzen unseres Planeten wäre es jedenfalls verhängnisvoll, wenn wir das Funktionieren der Demokratie prinzipiell von hohen Wachstumsraten abhängig machen. Die historische Evidenz zeigt, dass die Wachstumsrate über einen langen Zeitraum hinweg sinkt. Das heißt, dass wir die Faktoren für Lebenszufriedenheit und Glück, die nicht an materiellem Ressourcenverbrauch hängen, wiederentdecken und neu entdecken müssen. Wir könnten damit das politische Drohszenario der „säkularen Stagnation“ für die reichen Länder in ein Zuversichtsszenario der „säkularen Entschleunigung“ umwandeln. Und dies wäre sogar eine Chance, den ökologischen Raum für das dringend benötigte Wachstum und die Investitionen in den heute noch armen Ländern zu erweitern.

Die dafür nötige Verwandlung der Welt lässt sich nicht zentral planen oder gar durchsetzen. Sie erfordert überall je nach den Verhältnissen Einsicht in die Notwendigkeit und eigenständiges Handeln. Die Transformation wird nicht von oben kommen wie Manna vom Himmel, sie wird unten erschaffen werden, auf der Graswurzelebene, durch tausenderlei Initiativen und ohne Zentralplan. Die Transformation braucht Ortskenntnis, sie braucht Fachwissen, sie braucht Mut für Neues und Lust auf Neues, und sie braucht Finanzierung.

Für all das können und sollten die Sparkassen stehen. So können und sollten die Sparkassen ein Transmissionsriemen sein, der auch die Anforderungen der globalisierten, interdependenten Welt auf das Getriebe und die regionalen Kerne unserer Volkswirtschaft überträgt. Ich wünsche mir die Sparkassen als Ermöglicher, die den hidden champions, auch den noch nicht entdeckten, unter die Arme greift bei ihrem Such- und Innovationsprozess in dieser Transformation. Das Dezentrale ist unsere spezifische deutsche Stärke. Die Dezentralität ermöglicht einen trial-and-error-Prozess, bei dem auch mal etwas schief gehen kann; sie ermöglicht Konkurrenz, die anspornt. Ich glaube, dass gerade die Erfahrungen der ostdeutschen Sparkassen mit dem Wandlungsprozess der 90er Jahre jetzt besonders wertvoll sind. Der OSV und seine Mitglieder sind Transformationsexperten. Nutzen wir diese Expertise!

Die deutsche Dezentralität, für die die Sparkassen stehen, darf dabei kein Provinzialismus sein, sie braucht eine Sicht auf die ganze Welt. Die deutsche Dezentralität braucht ein Gespür für dieses Zeitalter der Interdependenz, in dem wir nicht mehr die Augen verschließen können vor den Folgen, die unser Handeln für andere Teile der Welt hat, und in dem wir selbst uns nicht mehr abschotten können vor dem, was anderswo passiert. Unsere Schicksale sind miteinander verknüpft, im Guten wie im Schlechten. Wir sitzen alle in einem Boot. Somit ist auch das, was in Chemnitz oder Kiel oder hier in Potsdam passiert, eingeordnet in ein Weltgeschehen. Und so wünsche ich mir die Sparkassen in diesem Sinne auch als Ein-Ordner, die Orientierung geben für diese Zusammenhänge, die den Bogen schlagen von den Vereinten Nationen zur lokalen Bürgerstiftung, von den nachhaltigen Entwicklungszielen der VN zum regionalen Entwicklungsplan, von der Mittelstandsinnovation zur globalen Klimadebatte.

Die Sparkassen können und müssen sich also erneut im Wandel bewähren. Sie können dabei helfen, global zu denken und lokal zu handeln; sie können die unternehmerischen Ideen, Produkte und Dienstleistungen mit auf den Weg bringen, die hier bei uns und weltweit für ressourcenschonendes Wachstum und Nachhaltigkeit sorgen werden. Die Sparkassen können dadurch Pfadfinder der großen Transformation sein, Ermöglicher, Transmissionsriemen, Einordner. Dann werden sie das Geld ihrer Sparer anständig arbeiten lassen, dann werden sie das Gemeinwohl und den Zusammenhalt ihrer Regionen stärken, dann kommen sie ihrem öffentlichen Auftrag in diesem interdependenten 21. Jahrhundert nach.

VIII. Wind des Wandels

Meine Damen und Herren,

eine der inoffiziellen Hymnen des Umbruchs von 1989 war „Wind of Change“ von den Scorpions. Der Wind des Wandels wird nicht aufhören zu wehen, und manchmal wird er stürmisch aufdrehen. Aber die Menschen nutzen den Wind seit Jahrtausenden, um voranzukommen, auch hier auf dem Templiner See, der sogar eine Bundeswasserstraße ist. Wenn die Menschheit beherzigt, dass sie in einem Boot sitzt, wenn sie den gemeinsamen Kurs an den richtigen Leitsternen ausrichtet, und wenn wir alle tüchtig mithelfen, die Segel zu setzen und an den Wind zu bringen, dann wird die Fahrt mit Gottes Hilfe auch gelingen.

Danke schön.